Dienstag, 27. April 2021

 So schnell ist man im Tessin von 1000m wo nach gar kein Gras wächst auf 300 Meter, wo Palmen wachsen und schon Blätter an den Bäumen sind. Ich habe mich so gefreut, endlich in Gebieten zu sein, wo meine Ochsen genug frisches Futter finden, dass ich nicht zufüttern muss.
So hatte ich mir das zumindest gedacht. Jetzt stehe ich in diesem Gebiet und werde erstmal nur verunsichert. Denn die Trockenheit des Frühjahrs hat das Gras, was eigentlich dicht und hoch stehen sollte, dünn wachsen lassen. Und lässt die Bauern nervös in dieses junge Frühjahr blicken. Und nervöse Bauern sind ertstmal nicht so begeistert uns zu sehen.

Nachdem mein Italienisch sich im letzten Jahr so verbessert hat, dass ich sprechen kann, ist zumindest dieser Teil kein Hinderniss mehr und erleichtert mich.
Eigentlich will ich ja ins Valle Maggia ziehen um die Zeit vor der Öffnung des San Bernardino Passes mit schöner Landschaft zu füllen, aber um dort hin zu kommen muss ich das sehr stark „überbesiedelte“ Südtessin mit Bellinzona und Locarno durchqueren (und das selbe dann wieder zurück für den Pass). Schon ohne Trockenheit eine Herausforderung bringt die Trockenheit meinen Plan gleich mal ziemlich ins Wanken. Alternativ könnte ich auch gleich Richtung Pass ziehen, doch dort geht es ja gleich wieder hoch und somit in Gebiete, wo aufgrund der frühen Jahreszeit einfach noch nichts wächst.
Um mehr Zeit zum Nachdenken zu haben, suche ich eines Morgens gleich von meiner Notwiese für die Nacht nocheinmal ein paar Bauern auf, um nach einer Wiese in der Gegend für ein oder zwei Tag zu fragen. Mit Glück, ein Schafbauer zögert nicht lange. Es gibt sie also auch hier, die netten Bauern. Eigentlich weiss ich das ja. Die gibt es überall. Aber zweifeln tu ich trotz meiner Erfahrung zu schnell.
Vielleicht habe ich mich ja auch getäuscht in meinem ersten Eindruck der Nervosität der Bauern und das Zögern lag einfach in der Mentalität der Menschen hier? Solche Regionen gibt es ja auch immer mal. Selten zwar, aber es gibt sie.

Wie es auch ist, jetzt bin ich einfach mal hier und freue mich daran, dass in den nächsten Tagen etwas Regen angesagt ist. Ohne Regen haben wir hier schon weit über 20 Grad tagsüber. Und entspanne mich etwas von den ersten Eindrücken dieser Gegend. Mein Gefühl sagt mir eigentlich schon, dass ich nur vertrauensvoll los laufen muss und es schon gut wird. Dieses vertrauensvolle Leben, das ich nur durch das Reisen gelernt habe, kommt mir im Winter immer mal wieder abhanden. Und erst im Frühjahr taucht es wieder auf.
Ich muss nur einfach die Trockenheit in meine Tage mit einbeziehen. D.h. kürzere Strecken laufen, damit die Ochsen, aber v.a. ich, genug Energie übrig haben, bei mehrere Bauern vorbeizulaufen, sie erstmal zu finden und dann auch anzutreffen (das ist gar nicht so leicht, weil hier niemand bei seinen Höfen direkt lebt) und darunter dann einen Netten zu finden. Wieso sollten jetzt auf einmal Probleme auftauchen, wenn es in neun Jahren kaum welche gab. Die Sorgen habe ich mir wieder in meiner eigenen Suppenküche gekocht.

Mittwoch, 21. April 2021

Ein unrunder Start



Wir sind wieder unterwegs. Auf der Strasse. Im Frühling.

Die letzten Wochen waren interessant, wenn ich es nett ausdrücken möchte. Sie waren aber vor allem voll.
Wegen des vielen Schnees sind Max und Milan den ganzen Winter nur in ihrem Stall und Auslauf geblieben. Und als es dann soweit war, dass ich etwas mit ihnen hätte machen können, habe ich mir mein Steissbein gebrochen oder stark geprellt. Das ist eine sehr langwierige und schmerzhafte Angelegenheit. Und als ich endlich wieder einsatzfähig war, waren es nur noch etwas mehr als zwei Wochen bis zum loslaufen. Da musste ich aber auch all die liegengebliebene Arbeit aufarbeiten, plus Kutsche überprüfen und packen, plus den Jungs neue Schuhe anpassen lassen, plus plus plus.
Deshalb habe ich nur zweimal kurz eingespannt bevor es losging. Aber mit gutem Gefühl.

Der Start hingegen war nicht gut. Die Bremse meiner Kutsche habe ich erst 4 Stunden vor Start wieder Einsatzfähig bekommen. Und als Milan - zum ersten Mal dieses Jahr- in all seinen Schuhen zur Kutsche treten sollte, hat er voll gesponnen. Damit habe ich nicht gerechnet, denn in Schuhen ist er ja schon zwei Sommer lang gelaufen.
Sein Kopf mit Hörnern hat er nur durch die Gegend geschmissen und die Füsse waren viel nur in der Luft. Also bin ich erstmal hinter den Hof auf die Wiese, damit er wieder realisiert, wie es sich anfühlt und dass es normal ist. Doch bleibt er wild und donnert mir in einem seiner Anfälle mit voller Kraft sein Horn in die Brust. Natürlich nicht extra. Aber verdammt weh tut es trotzdem. Erst nachdem ich ihm meinerseits die Peitsche über den Kopf ziehe, kommt er runter und ist auf einmal wieder ansprechbar und hält mehr Abstand zu mir. Auch die Schuhe scheinen ihn nun nicht mehr zu stören.
Daraufhin spanne ich beide vor die Kutsche und ziehe los (leichtsinnig??). Leider müssen wir nur bergab. Ausnahmsweise wäre mir nur bergauf lieber gewesen. Die ersten dreihundert Meter bereue ich alles was ich je über das gute Verhalten meiner Ochsen von mir gegeben habe. Sie sind schnell und so sicher, ob ich sie halten kann, bin ich mir nicht mehr. Was für ein Start!
Nach den ersten paar hundert Metern biegen wir auf die Kantonstrasse. Ich weiss nicht, was diese in ihnen auslöst, auf jeden Fall laufen sie daraufhin, als hätten sie nie was anderes gemacht. Ruhig, gelassen und bremsen schön mit. Wunderbar, aber erklären kann ich es mir nicht. Aber ich nehme was ich kriegen kann und schon fängt die Reislust wieder an in meinem Bauch zu kitzeln. Mit jedem Grün, was ich um mich herum sehe, mit jedem Stein, Vogel und Baum. Mit jedem Lufthauch, aber vor allem mit dem Geruch und Geräusch meiner Ochsen an meiner Seite.
Trotzdem bin ich froh, dass ich mir die erste Wiese schon vororganisiert hatte, in einer lächerlichen Distanz von 5 km. Aber es war genau das richtige!

Und jetzt laufe ich erstmal zu einem Bekannten, und wenn es von der Wiese her klappt, machen wir gleich einen Pausetag und gehen ohne Kutsche in die Berge. Aber erst, nachdem ich endlich mal wieder ausgeschlafen habe.

Dieses Frühjahr werden wir das Tessin hinunterziehen, wo es hoffentlich bald genug Gras hat, um nicht mehr Heu zufüttern zu müssen. Und wenn dann der San Bernardino Pass offen hat, der letzte Pass ins Tessin, den wir noch nicht kennen, werden wir diesen nehmen und Richtung Engadin und Davos ziehen. Mehr Plan habe ich nicht.

Jetzt werde ich wieder einmal die Woche schreiben und euch teilhaben lassen an der Reise zweier Ochsen, zweier Hunde, zweier Hühner und eines Menschen durch die wunder wunderschönen Berge der Schweiz.
Es ist übrigens unsere neunte Saison. Neun Sommer mit Ochsen auf der Strasse! Bin ich jetzt schon alt?