Lieber Lothar
An den letzten 5 Tagen deines Lebens sind wir immer früh aufgestanden und langsam an den Platz gelaufen, wo du sterben wirst. Damit du alles kennst. Die Uhrzeit, den Platz, das dort angebunden Sein und die verbundenen Augen. Zumindest diese Faktoren sollten dich nicht in Unruhe versetzten.
An deinem letzten Tag bin ich dann ja ganz früh aufgestanden und hab uns ein Feuer gemacht. Gerade da ist der Mond langsam über dem Berg aufgegangen. Wir haben noch zugeschaut. Dann hab ich dich ans Halfter genommen, ganz ruhig und behutsam, und wir sind ganz ganz langsam nach vorne gegangen. Jeden einzelnen Schritt zusammen im Mondlicht geniessend als unsere letzten Schritte zusammen, als Gefährten. So ruhig war alles, wir hatten ja noch Zeit. Und das Gewahrsein füreinander.
Nachdem ich dich dann am langen Strick an den Baum gebunden habe, kam auch schon der Traktor und dadurch die Präsenz anderer Menschen.
Wir haben den Hänger für dich parat gemacht mit der Plane. Danach hab ich dich gleich ganz fest, doppelt und kurz an den Baum gebunden, damit das in keinem Zusammenhang mit der Ankunft eines Autos steht und dir noch ein paar Bananen gefüttert. Und da kam auch schon der Mensch der dich in den Himmel schicken sollte.
Wir haben nicht viel geredet. Nur ein paar Worte gewechselt und schon hast du das Schussgerät an der Stirn gehabt. Und was machst du? Du zitterst nicht mal, du rührst dich nicht, du hilfst ihm gut zu zielen Einen Moment später fällst du auf die Seite mit aller Mächtigkeit deiner verbliebenen paar hundert Kilo. Da verlier ich die Fassung ob dem was ich dir antue, kann dir nur ein paar Danke auf den Weg geben. Und schon rinnt das Blut vermischt sich mit dem Wasser um keine Verunreinigung zu unterlassen. Um dir noch ein bisschen Würde zrückzugeben löse ich mit all meiner Kraft die Knoten, die deinen Kopf noch nach oben mit dem Baum verbinden. und nehme das Hemd weg, das über deinen Augen liegt.
Es ist vorbei.
Und grad mal 5 Uhr durch.
Das Verladen ist dann ein Funktionieren, obwohl ich eh mehr nur daneben steh. Schau, dass deine Beine an den Frontlader gehängt werden und nicht noch die Dachrinne verletzt wird beim hochheben. Zuschauen. So ein schwerer Körper. Dass man das jetzt alles machen kann mit dir, Lothar?!
Dann liegst du auch schon auf dem Hänger, gut platziert gleich aufs erste Mal. Schief hängt dein Maul. Du wirst eingepackt in die Plane und fest verschnürt. Auch das lässt «du» mit dir machen. Und schon gehts los die Fahrt in den Schlachtbetrieb. Ich zeige mit dem Auto den Weg, fahre mit 20km/h dem Traktor vorran. So langsam wird es hell im Schwarzwald.
Kein Auto unterwegs.
Es ist geschafft.
Ohne Panik.
Ohne Stress.
Später dann, viel später, nachdem erstmal alles erledigt ist gehe ich zum Zelt in der Hoffnung etwas Schlaf nachzuholen. Ein Bussard fliegt tief über meinen Kopf. Sitzt du auf seinem Rücken und geniesst die neue Freihet?
Du scheinst noch so nah.
Nach den letzten immer bewölkten Tagen ist es heute nur schön. Keine Wolke. Ich will gar nicht mehr schlafen.
Die Zeit steht still.
Es gibt nur noch das Licht das durch die frühlingsgrünen Blätter scheint.
Und mich und die Weite. Und dich.
.
Es hätte nicht besser laufen können. Es hätte keinen besseren Abschied geben können.
Eine gute Reise dir, Lothar.
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