Samstag, 21. September 2019

Vom Segen so viel Zeit zu haben. Der Pass.



Einen Pass laufen ist etwas was man im Vorfeld nicht trainieren kann. Deshalb ist unsere erste Passüberquerung für mich die grösste Aufgabe dieses Jahr nach dem eigentlichen Loslaufen im Frühling.
Woher weiss ich, ob die Ochsen es hoch schaffen? Woher weiss ich, ob die Bremse es runter schafft? Das macht schon Bauchgrummeln je näher ich ihm komme. Egal wie oft ich mir erkläre, dass ich ihn gaaanz langsam laufe und sich immer eine Lösung auf ein Problem finden wird.

Ich habe uns den niedrigsten Pass ausgesucht: den Lukmanier zwischen Graubünden und dem Tessin. Er geht nur auf 1900 Meter hoch.
Nur.
Aber das sind verdammt viele Höhenmeter für zwei junge Steppenrinder.

Im Vorfeld versuche ich mich bei den Menschen zu informieren und studiere mein Kartenmaterial. Der steilste Teil scheint in den ersten Kilometern zu sein, dort zeigt es mir eine Steigung von 20%, danach zieht sich der Lukmanier nur mehr leicht steigend nach oben. 20% ist viel, fast zu viel für uns.
Ein anderer Mensch spricht von schmalen Strassen. Das macht mir Sorgen für den Weg hinab. Enge Strassen und enge Kurven wenn die Ochsen mal wieder Tempo machen weil die Kutsche von hinten drückt?

Ich bin also sehr sehr aufgeregt, als wir in Disentis abbiegen Richtung Pass.
Die Strasse ist sehr breit und es kommen mir einige schwere LKWs entgegen. Ohne Hänger. Je mehr ich mir diese Kombination anschaue, desto mehr fange ich mich an zu entspannen. Breite Strassen und schwere LKW sprechen nicht für 20% Steigung/Gefälle.
Ich weiss auch nicht, was sich da meine Karte ausgedacht hat: es geht natürlich schon bergauf in unserer ersten Passetappe, aber alles hält sich im Rahmen. Das ist machbar für meine Ochsen! Die Strasse verläuft sogar in einer schattigen Schlucht, so dass ich mir auch keine Sorgen um die Mittagshitze machen muss, die es im Moment hat. Denn eines habe ich mittlerweile gelernt: ich kann ruhig 300 Höhenmeter bei kühler Witterung machen und danach problemlos weiterlaufen. Aber verlange keine 200 Höhenmeter im prallen Sonnenschein.

Immer in Erwartung eines doch noch schwierigen Abschnittes sind wir auf einmal «oben». Problemlos und stresslos sind wir durch unsere erste Passetappe gekommen («stresslos» wenn ich von dem LKW absehe, der im Tunnel mit Höchstgeschwindigkeit bergab um die Kurve gebraust kam). Da ist definitiv ein Fehler in der Karte!
Umso besser für mich und uns.

Ich habe noch so viel Zeit diesen Herbst, dass ich mir vorgenommen habe, wenn es irgend möglich ist, auf dem Weg zum Pass und wieder runter so viel Tage zu brauchen wie nur geht. Zum einen enstpannt es meine Zugtiere zum anderen: wann komme ich schon mal mit den Ochsen in so hochalpine Gegenden?
Also bleibe ich auf der ersten Wiese gleich mal zwei Nächte. Wie unglaublich schön ist es hier schon auf knapp 1500 Meter. Zum ersten Mal fressen Max und Milan wirkliches ungedüngstes Alpgras. Vielfältig, dick und sicher nicht blähend.



Da der erste Teil so gut lief, mach ich mir über den Rest bergauf gar keine Sorgen mehr. Ich verschaffe mir noch die Genehmigung für eine Wiese gerade unterhalb vom Pass und habe die perfekte Zeit erwischt: Schönwetter, warm und das Vieh ist schon wieder weiter unten und so fressen eine Ochsen niemandem mehr was weg. Es interessiert niemanden wie lange ich bleibe.
Das einzige was nicht klappt in dieser Zeit - und das kann ich wirklich verschmerzen -: meine Kleidung hat seid drei Wochen keine Waschmaschine mehr gesehen. Wiesen ausserhalb von Ortschaften haben sowas einfach nicht zu bieten. Aber Piz hat sich noch nicht beschwert dass ich stinke und lieber stinkend auf dem Berg, als frischgewaschen im Tal.

Und jetzt darf ich hier oben sein, genau unterhalb der Staumauer des Santa Maria Stausees. Niemand ist hier, nur ich. Selbst die Strasse höre ich nicht. Und ich darf bleiben, habe Zeit und genug Vorräte. Die Berge lachen mich an, die Bäche rauschen mich in den Schaf. Was für ein Segen am Leben zu sein.




 Vier Tage sind wir oben in denen ich den Ochsen Pause gebe und mit Piz und Pepe wandern gehe. Jeder Tag scheint den vorherigen in Schönheit zu überbieten. Die Herbstfarben der Blaubeeren und des Magerwiesengrases intensivieren sich von Tag zu Tag. Und stehen im Kontrast zum blau des Himmels und tiefblau des immer irgendwie präsenten Stausees. Weit werde ich in den Bergen.





Besuch eines morgens
 Mein einziger menschlicher Kontakt ist mit den zwei Jägern, die auch gerade hier oben unterwegs sind. Piz und Pepe freuen sich ungemein, zur Jagdzeit hier zu sein, da die Innereien immer auf dem Berg zurückbleiben. 

Nachdem sich der Nebel morgens länger anfängt zu halten und ein kalter Wind anzieht, mache ich mich dann doch langsam an die letzten 70 Höhenmeter auf die offizielle Passhöhe und den dahinter liegenden Abstieg.


Dafür müssen wir durch eine 2 km lange Galerie, also Tunnel mit Fenstern, welcher sich oberhalb des Staussees vorbei drückt und in welchem leider gerade zwei Baustellen sind. Das ist für Max und Milan eine neue Herausforderung und dadurch für mich auch.Baustellenlärm im Tunnel ist was ganz anderes wie draussen. Der Lärm ist viel präsenter und klingt gewaltiger. Aber sie machen es gut, v.a. Milan merke ich kaum was an. Max  hingegen wird schon immer schneller und ist sehr darauf bedacht diesen Ort schnellstmöchlichst wieder zu verlassen und springt dann noch todesmutig über ein ganz «gefährliches» Kabel welches seinen Weg kreuzt. Trotz seiner Nervosität ist er aber noch weit davon entfernt, sich nicht mehr kontrollieren zu lassen.
Dafür zeigt mir Milan dass er wieder Bremsen kann! Und macht nicht mit bei Max seinem Tempo..
Die ganzen 1000 Höhenmeter die wir in den nächsten zwei Tagen nach unten laufen muss ich Milan kaum zurückhalten, er bremst gleichauf mit Max und so laufen sie schön gerade und ich kann die Führstricke ans Kummet hängen. Das ist nach Milans Erlebnissen diesen Sommer eine hervorragende Leistung. Ich hör gar nicht mehr damit auf ihn zu loben.

Die Hunde haben keine Lust auf der Kutsche zu sitzen und jaulen mir die Ohren voll. Dadurch haben sie mich irgendwan weich genervt und dürfen runter, müssen sich aber rechts neben der Kutsche aufhalten. Also habe ich fünffach Mulittasking: Max Milan Piz, Pepe und Verkehr. Letzterer ist glücklicherweise kaum vorhanden.

Meine Bremse packt die Höhenmeter auch, wird aber definitiv heiss an einem Rad, da muss ich etwas umstellen. Ich wähle dadurch das längere, mehr befahrene, aber nicht so steile Sück nach unten. Schlussendlich lasse ich die Ochsen auch immer wieder mehr bremsen, als ich eigentlich wollte um die Bremse so zu entlasten.
Vielleicht hätte sie es auch gepackt, ich weiss es nicht und wollte es dann doch nicht testen. Ich hatte keine Lust auf geschmorten Gummi und einen Platten in den Bergen.

Während des runter Laufens wird mir nochmal mehr bewusst, was für ein grosses Hindernis früher die Pässe für Kutschen waren. Nicht nur wegen des Anstiegs, nein genause problematisch ist die lange Bergabstrecke, welche Höchstanforderungen an Material und Tiere stellt. Wieviele Tiere gestürzt und Bremsen zum qualmen angefangen haben, kann ich mir jetzt im Ansatz vorstellen und bin wieder glücklich darüber, dass nicht meiner Überleben davon abhängt so unterwegs zu sein.

Leider hüllen sich die Berge beim Abstieg in Wolken. Und so ist es ein bisschen eine Wundertüte, wo ich am zweiten Morgen des Abstiegs aufwachen werde Dafür werde ich tagsüber und nachts begeleitet vom berbstlichen Ruf der Hirsche.

Im Nachhinein betrachtet war der Pass ein Segen und kein Hindernis. Nicht nur der schönen Zeit und Eindrücke wegen. Das auch, aber jetzt weiss ich, was wir schaffen können.

Ich danke und bewundere meine zwar manchmal wilden und sturen, aber mittlerweile passtauglichen Ochsen für ihre Leistung!

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