So ein toller Ochse. Eine Woche sind wir jetzt zusammen und ich hätte mir keinen Besseren wünschen können.
Doch bevor Tomte überhaupt zu uns stossen konnte, musste er erstmal eine Stunde im Stau vor dem Gotthard Tunnel stehen. Das war die erste grosse Aufregung für ihn.
Auf der Wiese angekommen werden Max und Milan durch den Zaun beschnüffelt, aber wichtiger ist es ihm eigentlich, bei uns Menschen zu sein. In dem Eck vom Zaun, welches am nächsten zum Feuer, also Lagerplatz ist, richtet er sich häuslich ein. Das wird vorerst sein Stammplatz. Mit Menschen zusammen sein, das ist ihm wichtig, das gibt ihm Sicherheit. Fantastisch gute Voraussetzung für mich fürs Training!!
Max, auf der anderen Seite vom Zaun macht dann bald voll auf dicke Backen: Bullenbrüllen und mit den Klauen in der Erde graben. Max und Milan sind doch sehr aufgebracht. Das kann ja lustig werden, wenn ich die drei zum ersten mal zusammen lasse…
Nachdem Lucia aufgebrochen ist, den Anhänger zurück zu bringen, geht es keine halbe Stunde und Milan macht beim versuchten Rangeln mit Tomte den Zaun kaputt. Das lässt Max nicht ungenutzt und sofort galoppieren zwei aufgebrachte, grossbehornte, ungarische Steppenrinder einem Neuankömmling hinterher. Ich springe auf und renne in Socken über die Wiese Max und Milan entgegen. Hab nicht mal einen Stock in der Hand, fällt mir da auf. Fehler. In meinem inneren Auge sehe ich meine Ochsen entweder Tomte verkloppen, oder ihn auf nimmer wiedersehen durch den Zaun treiben. Also MUSS ich die beiden irgendwie gewendet bekommen. Pepe kommt mir zu Hilfe und macht erstaunlicherweise einmal nicht das Gegenteil von dem, was ich will. Und der Respekt vor Pepe wiegt stark. Also wenden Max und Milan und lassen sich zurück treiben.
Mit einer neuen, doppelten Litze am Zaun verlieren sie dann aber das Interesse. Natürlich kommt Max immer mal wieder brüllend angelaufen um die Lage zu checken und etwas in der Erde zu wühlen. Mit neuem Respekt vorm Zaun.
Bis Lucia am nächsten Tag wieder da ist, um gemeinsam was zu machen, fange ich mit meinem kleinen Programm für Tomte gleich an. Einfangen lassen ist ja nicht wirklich Thema bei ihm 😅 (das spart mir schonmal viel Zeit und Kraft), aber Vertrauen aufbauen, Vorderfüsse geben und rückwärts laufen, lässt sich von Anfang an in kleinen Schritten machen. Mir geht es gar nicht darum, ihm gleich was neues beizubringen, sondern in Kontakt zu treten. Ihm klar zu machen, dass ich etwas von ihm will und dass es sich gut anfühlt, wenn er es macht.
Mit Lucia zusammen gehen wir auf unseren ersten Ausflug mit drei Ochsen. Und es passiert das, was ich sehr erhofft hatte. Der Drang hinter Max und Milan dran zu bleiben wirkt stärker, wie alles neue, was um ihn herum ist. Wie die, zwar sich in Sonntagsruhe befindende, aber trotzdem abenteuerliche Riesenbaustelle neben unserer Wiese zu beachten, die wir durchqueren müssen und dann auf einem schmalen Weg, wo es links steil zum Fluss abfällt, unter einer tiefen Autobahnbrücke hindurch zu gehen. Alles kein Problem mit Max und Milan vorne weg. Lucia hat eher Mühe, Tomte daran zu hindern seine Hörner in Milans Hintern zu bohren. Meine Beiden laufen aber auch schneller als gewohnt und sind sehr im Dominanzmodus. Auch mit mir. Trotzdem aber ein schöner Erfolg diese Tour.
Der zweite Abschied von Lucia fällt Tomte schon viel schwerer. Und er wird auch mal nervös nach ihrer Abreise.
Meine Aufgabe für die nächsten Wochen ist gesteckt. Tomte muss lernen die Füsse einigermassen verlässlich zu geben, damit ich ihm die Schuhe anziehen kann. Ohne Schuhe, kein Reisen. Deshalb ist das mein Augenmerk. Alles andere ist erstmal nebensächlich. Also nehme ich ihn mir mindestens sechsmal am Tag vor, binde ihn an und lasse ihn die Beine geben. Erstmal nur vorne. Binde auch Max und Milan daneben, damit er sieht, dass es ganz normal ist. Das längere angebunden sein, scheint er nicht zu kennen, zumindest macht er’s mir glaubhaft weiss. Aber zusammen mit den anderen, geht das auch gut. Alleine angebunden, darf ich erstmal nicht weg. An Max und Milan kann Tomte auch sehen, das Füsse geben eine stressfreie und von jedem verlangte Aufgabe ist.
Da Vorderbeine geben, bei Ochsen kein grosses Thema ist, ziehe ich ihm vorne schon die Schuhe an, noch bevor ich überhaupt an seine noch etwas nervösen Hinterbeine gehe. Und die Schuhe interessieren ihn kein bisschen! Ihm passen sogar Max’ Schuhe vom letzten Jahr perfekt, das spart schonmal ein neues paar Schuhe.
Am dritten Tag mache ich mich zum ersten mal an die Hinterbeine. Aber der Prozess, Hinterfüsse geben zu lassen, geht länger. Vorne hat ein Ochse keine grosse Macht sich zu entziehen und das lernt er schnell. Hinten hingegen kann er sich, wenn er es einmal gelernt hat, immer entziehen. Und das geht auf den Rücken des Menschen und kann gefährlich werden. Deshalb werde ich mir viel viel Zeit nehmen und ihn in langsamen Schritten daran gewöhnen. Zuerst soll er nur mal die Hinterbeine auf Kommando entlasten, dann nach vorne und hinten etwas in die Luft heben, bis dieser Radius immer mehr ausgeweitet werden kann. Und das, im Idealfall, ohne dass er lernt, dass er eigentlich auch treten könnte. Ich denke, ich brauche bis zu drei Wochen dafür. Mal schauen.
Ich weiss gar nicht, wie oft ich mir in der letzten Woche den Satz: «Was hab ich ein Glück mit diesem Ochsen!», gedacht habe. Und meine Aussage von letzter Woche, von wegen, er sei »roh», kann ich gleich revidieren. Tomtes Vorteil ist, dass er so gerne bei Menschen ist und sich eher an ihnen orientiert, als an seinen Artgenossen. Ohne dominant sein zu wollen. Er scheint einfach nur gute Erfahrungen gemacht zu haben.
Das spart mir so viel Arbeit. Für das ganze Training von Einfangen lassen und Halfterführigkeit, Vertrauen aufbauen usw habe ich eine fantastische Basis, auf der ich aufbauen kann. Natürlich probiert er mich auch aus. Was passiert, wenn ich keine Lust habe angebunden zu werden? Was passiert, wenn ich einfach mein komplettes Gewicht auf das Bein lege, welches sie gerade haben will? Was passiert, wenn ich rückwärts laufe, obwohl Eva vorwärts will? Aber alles total im Rahmen.
Wenn ich etwas negatives sagen kann über diesen Ochsen, dann ist es eigentlich nur, dass er zu wenig Distanz mit seinen. Hörnern hat. Das wäre bei einem anderen Tier mit nicht so ruhigen Wesen schon etwas gefährlich. Aber auch die Distanz lässt sich lernen.
Als er sich zum ersten Mal nahe zu Max und Milan legt, statt zu mir, zeigt mir, dass es Zeit ist denn Zaun zu öffnen und sie zusammen zu lassen.
Aber davor rede ich allen nochmal ins gewissen. Erkläre ihnen, dass wir jetzt ’Herde’ sind. Und dann mache ich auf.
Und es passiert: nichts. Max und Milan sind erstmal mehr am frischen Gras auf Tomtes Wiese interessiert. Aber nachdem sie satt sind, geht es schon mal kurz Rund und Tomte muss laufen und weichen, immer wieder weichen. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie viel - Kühe allgemein -, allein durch Körpersprache und Stellung der Hörner ausmachen. Wenn sie Platz haben. Nach kurzer Zeit ist alles erledigt und seitdem ist es friedlich. Noch ein Glücksfall.
Tomte, ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dir, du schönes Wesen!