Samstag, 27. April 2024

Tomte, mein Glücksfall

So ein toller Ochse. Eine Woche sind wir jetzt zusammen und ich hätte mir keinen Besseren wünschen können.

Doch bevor Tomte überhaupt zu uns stossen konnte, musste er erstmal eine Stunde im Stau vor dem Gotthard Tunnel stehen. Das war die erste grosse Aufregung für ihn. 


Auf der Wiese angekommen werden Max und Milan durch den Zaun beschnüffelt, aber wichtiger ist es ihm eigentlich, bei uns Menschen zu sein. In dem Eck vom Zaun, welches am nächsten zum Feuer, also Lagerplatz ist, richtet er sich häuslich ein. Das wird vorerst sein Stammplatz. Mit Menschen zusammen sein, das ist ihm wichtig, das gibt ihm Sicherheit. Fantastisch gute Voraussetzung für mich fürs Training!!


Max, auf der anderen Seite vom Zaun macht dann bald voll auf dicke Backen: Bullenbrüllen und mit den Klauen in der Erde graben. Max und Milan sind doch sehr aufgebracht. Das kann ja lustig werden, wenn ich die drei zum ersten mal zusammen lasse…

Nachdem Lucia aufgebrochen ist, den Anhänger zurück zu bringen, geht es keine halbe Stunde und Milan macht beim versuchten Rangeln mit Tomte den Zaun kaputt. Das lässt Max nicht ungenutzt und sofort galoppieren zwei aufgebrachte, grossbehornte, ungarische Steppenrinder einem Neuankömmling hinterher. Ich springe auf und renne in Socken über die Wiese Max und Milan entgegen. Hab nicht mal einen Stock in der Hand, fällt mir da auf. Fehler. In meinem inneren Auge sehe ich meine Ochsen entweder Tomte verkloppen, oder ihn auf nimmer wiedersehen durch den Zaun treiben. Also MUSS ich die beiden irgendwie gewendet bekommen. Pepe kommt mir zu Hilfe und macht erstaunlicherweise einmal nicht das Gegenteil von dem, was ich will. Und der Respekt vor Pepe wiegt stark. Also wenden Max und Milan und lassen sich zurück treiben.

Mit einer neuen, doppelten Litze am Zaun verlieren sie dann aber das Interesse. Natürlich kommt Max immer mal wieder brüllend angelaufen um die Lage zu checken und etwas in der Erde zu wühlen. Mit neuem Respekt vorm Zaun.

Bis Lucia am nächsten Tag wieder da ist, um gemeinsam was zu machen, fange ich mit meinem kleinen Programm für Tomte gleich an. Einfangen lassen ist ja nicht wirklich Thema bei ihm 😅 (das spart mir schonmal viel Zeit und Kraft), aber Vertrauen aufbauen, Vorderfüsse geben und rückwärts laufen, lässt sich von Anfang an in kleinen Schritten machen. Mir geht es gar nicht darum, ihm gleich was neues beizubringen, sondern in Kontakt zu treten. Ihm klar zu machen, dass ich etwas von ihm will und dass es sich gut anfühlt, wenn er es macht.

Mit Lucia zusammen gehen wir auf unseren ersten Ausflug mit drei Ochsen. Und es passiert das, was ich sehr erhofft hatte. Der Drang hinter Max und Milan dran zu bleiben wirkt stärker, wie alles neue, was um ihn herum ist. Wie die, zwar sich in Sonntagsruhe befindende, aber trotzdem abenteuerliche Riesenbaustelle neben unserer Wiese zu beachten, die wir durchqueren müssen und dann auf einem schmalen Weg, wo es links steil zum Fluss abfällt, unter einer tiefen Autobahnbrücke hindurch zu gehen. Alles kein Problem mit Max und Milan vorne weg. Lucia hat eher Mühe, Tomte daran zu hindern seine Hörner in Milans Hintern zu bohren. Meine Beiden laufen aber auch schneller als gewohnt und sind sehr im Dominanzmodus. Auch mit mir. Trotzdem aber ein schöner Erfolg diese Tour.

Der zweite Abschied von Lucia fällt Tomte schon viel schwerer. Und er wird auch mal nervös nach ihrer Abreise.

Meine Aufgabe für die nächsten Wochen ist gesteckt. Tomte muss lernen die Füsse einigermassen verlässlich zu geben, damit ich ihm die Schuhe anziehen kann. Ohne Schuhe, kein Reisen. Deshalb ist das mein Augenmerk. Alles andere ist erstmal nebensächlich. Also nehme ich ihn mir mindestens sechsmal am Tag vor, binde ihn an und lasse ihn die Beine geben. Erstmal nur vorne. Binde auch Max und Milan daneben, damit er sieht, dass es ganz normal ist. Das längere angebunden sein, scheint er nicht zu kennen, zumindest macht er’s mir glaubhaft weiss. Aber zusammen mit den anderen, geht das auch gut. Alleine angebunden, darf ich erstmal nicht weg. An Max und Milan kann Tomte auch sehen, das Füsse geben eine stressfreie und von jedem verlangte Aufgabe ist.

Da Vorderbeine geben, bei Ochsen kein grosses Thema ist, ziehe ich ihm vorne schon die Schuhe an, noch bevor ich überhaupt an seine noch etwas nervösen Hinterbeine gehe. Und die Schuhe interessieren ihn kein bisschen! Ihm passen sogar Max’ Schuhe vom letzten Jahr perfekt, das spart schonmal ein neues paar Schuhe.


Am dritten Tag mache ich mich zum ersten mal an die Hinterbeine. Aber der Prozess, Hinterfüsse geben zu lassen, geht länger. Vorne hat ein Ochse keine grosse Macht sich zu entziehen und das lernt er schnell. Hinten hingegen kann er sich, wenn er es einmal gelernt hat, immer entziehen. Und das geht auf den Rücken des Menschen und kann gefährlich werden. Deshalb werde ich mir viel viel Zeit nehmen und ihn in langsamen Schritten daran gewöhnen. Zuerst soll er nur mal die Hinterbeine auf Kommando entlasten, dann nach vorne und hinten etwas in die Luft heben, bis dieser Radius immer mehr ausgeweitet werden kann. Und das, im Idealfall, ohne dass er lernt, dass er eigentlich auch treten könnte. Ich denke, ich brauche bis zu drei Wochen dafür. Mal schauen.



Ich weiss gar nicht, wie oft ich mir in der letzten Woche den Satz: «Was hab ich ein Glück mit diesem Ochsen!», gedacht habe. Und meine Aussage von letzter Woche, von wegen, er sei »roh», kann ich gleich revidieren. Tomtes Vorteil ist, dass er so gerne bei Menschen ist und sich eher an ihnen orientiert, als an seinen Artgenossen. Ohne dominant sein zu wollen. Er scheint einfach nur gute Erfahrungen gemacht zu haben.

Das spart mir so viel Arbeit. Für das ganze Training von Einfangen lassen und Halfterführigkeit, Vertrauen aufbauen usw habe ich eine fantastische Basis, auf der ich aufbauen kann. Natürlich probiert er mich auch aus. Was passiert, wenn ich keine Lust habe angebunden zu werden? Was passiert, wenn ich einfach mein komplettes Gewicht auf das Bein lege, welches sie gerade haben will? Was passiert, wenn ich rückwärts laufe, obwohl Eva vorwärts will? Aber alles total im Rahmen.

Wenn ich etwas negatives sagen kann über diesen Ochsen, dann ist es eigentlich nur, dass er zu wenig Distanz mit seinen. Hörnern hat. Das wäre bei einem anderen Tier mit nicht so ruhigen Wesen schon etwas gefährlich. Aber auch die Distanz lässt sich lernen.

Als er sich zum ersten Mal nahe zu Max und Milan legt, statt zu mir, zeigt mir, dass es Zeit ist denn Zaun zu öffnen und sie zusammen zu lassen.


Aber davor rede ich allen nochmal ins gewissen. Erkläre ihnen, dass wir jetzt ’Herde’ sind. Und dann mache ich auf.

Und es passiert: nichts. Max und Milan sind erstmal mehr am frischen Gras auf Tomtes Wiese interessiert. Aber nachdem sie satt sind, geht es schon mal kurz Rund und Tomte muss laufen und weichen, immer wieder weichen. Es ist sehr interessant zu beobachten, wie viel - Kühe allgemein -, allein durch Körpersprache und Stellung der Hörner ausmachen. Wenn sie Platz haben. Nach kurzer Zeit ist alles erledigt und seitdem ist es friedlich. Noch ein Glücksfall.


Tomte, ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit dir, du schönes Wesen!




Donnerstag, 18. April 2024

2024

 Die erste Hälfte des April ist überschritten. Dh die Reisekasse ist gefüllt, ich darf mein Leben wieder frei gestalten und schlafe seid zwei Tagen wieder im Zelt. Die Herde besteht dieses Jahr aus Max und Milan, Piz und Pepe, altes Hühnchen und neues Hühnchen, meiner Wenigkeit…. und bald einem Neuzugang.

Das Wetter macht den Start etwas…frisch. Gelegentliche Schneeflocken wirken am ersten Tag noch wie verwehte Obstbaumblüten im eigentlich schönen Himmel. Doch mit der einsetzenden eisigen Windböe wird diese Romantik schnell zerstört und die Realität ist zum Teil wirklich ungemütlich. Vor zwei Wochen hätten wir noch geschwitzt auf unserer Wiese, jetzt ist es das Gegenteil. Doch deshalb mein Zelt gegen ein Haus tauschen? Nein, danke. Ich schlafe so tief wie schon lange nicht mehr. Mit einer Wärmflasche auf der einen und Piz auf der anderen Seite unter der Bettdecke. Zumindest für eines sind die Temperaturen auch gut, sie laden nicht zum faul sein ein. Denn dann wird es zu kalt. Zu tun gibt es noch genug am Anfang einer neuen Saison. Und natürlich warten wir auf unseren Neuzugang.

Diesen Winter, solange der Boden gefroren war, ist Milan mit seinen Vorderbeinen einfach scheisse gelaufen. Anders kann man es nicht nennen. Wie auf rohen Eiern. Mehrmals war der Physiotherapeut da, auf dessen Zauberhände ich gehofft hatte, aber es ergab keine Besserung. Die Klauen schienen in Ordnung, er hatte wohl verspannte Schultern, die der Physio zwar lockern konnte, die sich aber sofort wieder verspannten. Er konnte dann leider auch nur Vermutungen anstellen was das Problem war.



Jetzt hat ja Max schon sein Shivering. Also einen Tick der Hinterbeinmuskulatur, welcher sich so äussert, dass er aus Ruhe heraus tretend oder unter Stress, zwar los laufen möchte, aber nicht kann, weil seine Hinterbeine erstmal ein Eigenleben haben. Sie dehnen sich von selbst nach links oder rechts aussen. Mehrmals hintereinander. Das ist zwar glücklicherweise schmerzfrei, aber ärgerlich und behindernd für ihn. Denn es nimmt ihm die Kraft, seine mittlerweile 920 kg mit Schwung in Bewegung zu bringen. Und es wird von Jahr zu Jahr stärker.

 Bisher konnte ich da dann einfach auf Milan zählen.

Wenn ich aber jetzt im Winter auf den Auslauf meiner Ochsen schaute, dann sah ich einen, der seine Hinterbeine in komischen Bewegungen dehnte, statt los zu laufen, und einen, der mit seinen Vorderbeinen wie auf Eiern lief. Also sah ich: zwei Rentner.

Den Tag, an dem mir das wie Schuppen von den Augen gefallen ist, war ein Tag (oder auch ein paar) voller Tränen. 

Für Kälbchen ist es jetzt definitiv zu spät. Und diese Kurzlebigkeit von Ochsen richtet mich nieder. Drei Jahre mit viel Arbeit bis sie ziehen können, dann das erste Jahr unterwegs voller Aufregung und dann habe ich vier Jahre und muss sie schon auswechseln und mich eventuell sogar von ihnen verabschieden. Das packe ich nicht alle sechs Jahre.

Wenn ich im Vergleich sehe, dass viele der Kutschpferde aus Davos, die beschlagen so viele Tage des Jahres auf Asphalt eine schwere Kutsche ziehen, dies durchaus gut bis über 20 jährig machen, dann denke ich mir, dass ich die falsche Art Zugtier gewählt habe.

Auch wenn mir bei Ochsen das Herz aufgeht und sie es jeden Tag aufs neue berühren. Auch wenn ihre Langsamkeit und ihr Unwille sich zu stressen eigentlich so gut zu mir passen und mir so viel gelehrt hat.

Also hab ich angefangen nach Pferden oder Mulis Ausschau zu halten. Die Entscheidung war gefallen.

Und dann kam Tomte daher. Nach einer neuen spontanen Zwischenidee. Und er ist: ein dreijähriger OCHSE. Original Braunvieh. Mit Hörnern. So lustig. Und mit dem sowieso schönsten Namen aller Zeiten.

Darauf gekommen bin ich durch die Überlegungen, dass früher ja junge Ochsen einfach neben alte Erfahrene gespannt wurden. Und was ist meine Ressource gerade? Zwei alte Ochsen! Also wäre es ja schade, das nicht mal auszuprobieren! Ich hatte ja schon Lothar, einen schon toll trainierten, aber schwer traumatisierten Ochsen, dann hatte ich Max und Milan als Kälbchen als erstes Gespann und jetzt kommt eben ein neuer Abschnitt mit neuer Ochsenerfahrung.

Tomte kennt das Halfter und Spaziergänge (obwohl er zT dabei schamlos ausnutzt, sich alle paar Schritte von einer 🥕 locken zu lassen). Bei meinem Besuch erschien er mir den Menschen erstmal wirklich positiv gegenüber eingestellt, geniesst seinen Sonderstatus und geht deshalb auch gerne weg von der Herde. Und es wurde auf den ersten Eindruck nichts grundlegend falsch gemacht. Ich würde sagen: wirklich perfekte Voraussetzungen!

Mein Besuch bei ihm Anfang März war sehr spannend. Jetzt arbeite ich schon so viele Jahre mit Ochsen, es hat mir aber niemand beigebracht. Mein Wissen entstand im direkten Umgang mit ihnen. Dh aber auch, dass ich nicht weiss, ob meine Tiere schneller «menschisch» gelernt haben und deshalb die Dinge machen, die ich von ihnen verlange, oder ich ihre Sprache. Wenn das erstere stimmt, dürfte Tomte auf meine Signale nicht reagieren. Ich hoffte natürlich auf zweiteres. Und so war es auch. Seine Füsse konnte er zB noch nicht geben, und nach meinem Besuch hat er die Vorderbeine schon super gegeben und für die Hinterbeine war der erste Grundstein gelegt. Auch hat er verstanden, was die Zeichen mit der Peitsche bedeuten. Und damit meine ich nicht Prügel, sondern sie für Signale wie ein verlängerter Arm zu benutzen. Das war eine wirklich wertvolle Erfahrung für mich.

Und dann hat er mich natürlich mit seinem ganzen, so liebevoll -trotteligem Wesen sofort bezaubert. Ochse eben. Ruhige Augen, kein Stress im Körper.

Neben dem, dass Tomte mir vom Wesen total zugesagt hat, waren auch die Möglichkeiten, die im Kontakt mit seiner Besitzerin Lucia (ich darf ihren Namen hier schreiben) entstanden, unkompliziert und super. So kommt Tomte jetzt über den Sommer zu mir, darf lernen und wenn ich im Herbst immer noch meine, auf Pferde umsteigen zu müssen, nimmt sie ihn zurück. Hat dann einen schon trainieren Ochsen und ihn wieder näher bei sich. Sie hat es für sich als Aufgabe gesetzt und die Verantwortung übernommen, ihren Ochsen sein ganzes Leben zu begleiten. Und wenn ich mich nicht mehr von Tomte trennen kann oder möchte, darf ich ihn behalten. Perfekt, findet ihr nicht?

Ich bin so unglaublich gespannt auf die nächsten Wochen. Auf das Training eines noch fast rohen Ochsen, zu schauen wie er sich entwickelt und wann ich mir zutraue mit allen Dreien los zu ziehen. Im Idealfall zieht dann einer meiner alten Ochsen mit Tomte vorne und der andere Alte läuft hinten an der Kutsche angebunden. Der, der hintern laufen darf, bekommt dann noch einen Packsattel mit meinen leeren Kanistern drauf und darf sich auch noch gebraucht fühlen. Und die Alten kann ich dann nach der Hälfte des Tages auswechseln. Vielleicht läuft aber erstmal auch Tomte hinterher. Mal schauen. Ich bin voller Vorfreude und soooo gespannt!!!

Willkommen auf meinem Blog 2024!

Ab jetzt wieder einmal die Woche ein neuer Eintrag.