Freitag, 18. Juni 2021

Erfrischung

 Ich hätte nicht gedacht, dass es so warm werden kann zwischen den hohen Bergen in Graubünden. Doch jetzt Anfang Juni müssen wir genau deswegen schon unseren Tagesrhythmus umstellen und früh starten. Um drei klingelt der Wecker, so dass wir um fünf startklar sind. Und vor dem Mittag ist schon wieder Schluss mit Laufen, zumindest für die Jungs.

Heute morgen sind wir von der Polizei aufgehalten worden. Alle sehr freundlich, aber sie wurden gerufen, weil gefährliche Überholmanöver gemeldet wurden. Doch was soll ich tun? Ich habe keine Alternative zu dieser Strecke, das sehen die Polizisten auch ein. Meine Personalien werden auf jeden Fall trotzdem aufgenommen.

Es ist auch viel los hier auf der Straße. Auf der Strecke zwischen Thusis und Tiefencastel trifft sich alles, was ins Engadin über den Julier- oder Albulapass will und muss oder nach Davos oder Lenzerheide.

Die Polizei erwähnt nochmal wie gefährlich es ist und fährt weiter. Sie könnten mich ja auch durch die zwei Tunnel begleiten, wenn ich so ein Hindernis in ihren Augen bin, doch stattdessen warten sie lieber am Tunnelausgang und tippen in ihr Smartphone.

Als es endlich eine Alternativroute gibt, steigt diese kontinuierlich an. Eine kleine Herde Schafe kommt mir entgegen. Vorne weg zwei Menschen, dahinter zwei Kinder mit Ross und ein Mann auf einem voll bepackten Lasten E-Bike. Sie rufen mir zu wohin sie gehen, doch ich verstehe es akustisch nicht. Bin ich doch bei Pepe um ihn abzuhalten die Schafe zu verschrecken.

Weiter geht's bergauf und weiter steigen die Temperaturen. In einem schönen kleinen Dorf sehe ich gerade noch rechtzeitig rechts einen Brunnen, der niedrig genug ist, damit die Jungs angeschirrt darin saufen können ohne mit der Deichsel Schaden anzurichten. Die Jungs nehmen mein Signal für rechts, also Pause, also stehen, also saufen, also nicht mehr arbeiten, freudig an und nehmen einen großen Schritt auf dem Brunnen zu. Nur der ist ja schon da und dazwischen steh noch ich und so werde ich vorwärts in den Brunnen “gefällt“, durch die Brunnenkante im Knie und die Deichsel im Rücken. Einmal der Länge nach von Unterschenkel bis Hals ist alles unter Wasser. Es ist erstaunlich erfrischend! Doch auch so komisch, dass ich lachen muss. Als ich mich aus dem Wasser wuchte und mein Smartphone schnell an etwas Trockenem abzutrocknen versuche, aber nur Nasses finde, sehe ich, dass sowas natürlich nicht ohne ZuschauerInnen passieren kann. Und alle haben natürlich zumindest ein sehr sehr breites Grinsen. Es muss auch wirklich sehr lustig ausgesehen haben.

Die eigentliche Ironie des ganzen ist ja noch, dass Max und Milan nicht mal gesoffen haben.

Zumindest ich bin erfrischt, als wir weiter ziehen.


Freitag, 11. Juni 2021

Unser Weg zum Pass

 Langsam, ruhig und mit ganz viel Zeit bewegt sich unsere kleine Herde Stück für Stück in Richtung Pass. Nie zuviel aufs Mal. Dafür ist es eh zu schön überall.

Die Kutsche ist randvoll mit Heu, dass die Jungs ja nie hungern müssen. 





Dann verlässt uns das Glück mit dem Wetter und wir bekommen alle zu spüren, wie kalt und uneinladend es auch sein kann im Juni in den Bergen. Wind und Regen. Vor allem Pepe hat kalt. Aber dazwischen scheint auch immer wieder die Sonne. Die Ochsen genießen ein paar Tage ohne Arbeit, während ich mit den Hunden die Gegend erkunde (wenn es mal trocken ist)











Aber auch mit 2km/h erreicht man irgendwann den Pass. Ich konnte es so einrichten, dass wir am ersten Schönwettertag oben ankamen. Schade eigentlich, dass es dahinter gleich wieder runter geht. 









Auf der ersten Alp unterhalb von Pass dürfen wir bleiben und wärmen unsere Glieder in der Sonne. Seht ihr die Kutsche und unser Camp auf dem nächsten Bild?



Milan geht es immer noch gut!!!

Mittwoch, 2. Juni 2021

Und so packen wir unsere Sachen und ziehen langsam Richtung San Bernardino. Max Zugwille ist gering, doch das kann auch noch daran liegen, dass wir eben gehen. Da haben die Ochsen ja eh ihre selbst ausgehandelte Abmachung, dass Milan dort die Arbeit übernimmt und auch noch Max mitzieht. Da die Muskulatur an der Hüfte von Max immer noch weich ist, schiebe ich es einfach erstmal darauf.

Die Menschen in der Mesolcsina, dem Tal welches zum Pass führt, sind genauso nett wie alle anderen im Tessin und die Wiesen, wunder wunderschöne Wiesen, zum Teil schon organisiert, bevor ich überhaupt zum Suchen anfange. Auch hier ist die Regel, dass ich länger bleiben dürfte, wenn ich wollte. Doch sind wir ja jetzt wirklich lange genug in einer Region geblieben, dass ich doch endlich mal ein bisschen weiter möchte. Also lehne ich diese für mich eigentlich sehr wertvollen Angebote tatsächlich ein paar Mal in Folge ab.

In Mesocco, dort, wo der Anstieg zum Pass beginnt, landen wir wieder wunderschön auf einer Wiese unterhalb der Burg, total uneinsichtig und vor unserer Nase ein wunderschöner Wasserfall. Warm ist es geworden die letzten Tage, zu warm, um die kommenden Passabschnitte tagsüber zu laufen. Also muss ich meinen Rhythmus wieder umstellen, und im Dunklen aufstehen, da wir um 6 schon auf der Strasse sein müssen um unser „Tagessoll“ von ca 500 Höhenmetern gelaufen zu haben, bevor die Sonne Max und Milan die Freude am Arbeiten nimmt.

Die Frühstückswiese für Max und Milan ist an diesem noch dunklen Morgen unterhalb einer zwei Meter hohen „Felswand“. Dort ziehe ich keinen Zaun, da sie da ja eh nicht hoch kommen. Meine ich. Und das ist mein erster Fehler, den ich an diesem Tag begehe.

Milan ist schon nach 10 Minuten auf den engen Wiesenstreiffen oberhalb der Felswand geklettert, weil dort das Magergras wächst, welches ihm besser schmeckt als das hohe Gras, welches ich als sein Frühstück vorgesehen habe. Da mir mulmig wird bei dem was ich sehe, greife ich ein und begehe damit meinen zweiten Fehler. (Eigentlich sollte ich es ja wissen. Ein Tier kann sich in Ruhe am besten aus Gefahrenstellen wieder hinausbewegen) Ich versuche ihn nach oben wegzutreiben (dritter Fehler: Treiben und nicht ihn das Halfter überziehen und herausführen), nicht nach unten, denn dort würde er dann vor lauter Übermut über die fast Schnittbereite Mähwiese springen und das Gras niedertrampeln. Doch Milan hat keine Lust nach oben wegzugehen. Stattdessen tritt er an den Rand der „Felswand“ und ich sehe nur noch, wie die Erde unter seinen Füssen weggleitet und Milan nach unten stürzt. 700kg Lebendgewicht stürzen im Dunkeln senkrecht 2 Meter tief.

Ein Moment, wo die Zeit stillsteht und sich das Herz auf die Größe einer Erbse zusammenzieht.

2 Meter, genug um sich Knochen zu brechen, Sehnen zu reissen.Genug um auf der Seite zu landen und sich irreparable Verletzungen zu holen.

Milan kommt auf allen Vieren auf seiner Weide auf, geht aber ziemlich in die Knie dabei und grunzt beim Aufprall.

Und geht grasen.

Also kann kein Knochen gebrochen sein.

Kurz darauf legt er sich hin und käut wieder. Da kann eigentlich auch keine Sehne gerissen sein oder irgendwelche inneren Verletzungen aufgetreten sein.

Ich setzte mich hin und bin fix und fertig.

So schnell kann es gehen. Es braucht so wenig Unachtsamkeit und das Leben meines Zugochsen steht auf dem Spiel. Und somit meine Reise.

Es braucht so wenig!

Da nehme ich meine Ochsen mit ihren 5 Jahren und unsere Reise als gegeben hin, doch von einer Sekunde auf die Nächste kann auch alles vorbei sein.

Doch wir haben auf den ersten Blick erstmal Glück gehabt. Kann das sein? Ich wage kaum zu hoffen, dass ein Tier dieser Größe und dieses Gewichts einen solchen Sturz unbeschadet überstehen kann? Schwellungen sehe ich natürlich noch nicht. Zerrungen o.Ä. zeigen sich vielleicht erst später. Was soll ich tun? Ihm einen Pausetag geben?  
Nein, ich will wissen, ob ihm nicht doch etwas fehlt, und das weiss ich am Schnellsten wenn ich einspanne und los ziehe. Also packe ich ungefrühstückt (der Hunger ist mir vergangen) das Camp ein und spanne an.

Und Milan zieht! Er ist auch nicht nervös. Sehe ich da eine Schwellung kommen am Bein? In meinem Zustand kann ich mir aber gerade viel einbilden. Aber er humpelt kein bisschen!

An diesem Tag führt uns die Strasse in den Morgenstunden auch noch 400 Höhenmeter nach oben. Schön langsam. Und meine Ochsen machen mit. Mit ihren 2 km/h, mit der eingerenkten Hüfte von Max, mit dem frisch verunfallten Milan, mit der traumatisierten Eva.

Und je mehr wir an Höhe gewinnen, desto mehr verwischt das im Dunkeln passierte und bekommt etwas Traumähnliches.

Was bleibt ist die alte, mir jetzt wieder frisch eingebrannte, Erkenntnis, zu hundert Prozent das Jetzt zu geniessen, zu schätzen, zu leben. Denn schon morgen kann alles vorbei sein. Fast wäre es das gewesen.