Mittwoch, 2. Juni 2021

Und so packen wir unsere Sachen und ziehen langsam Richtung San Bernardino. Max Zugwille ist gering, doch das kann auch noch daran liegen, dass wir eben gehen. Da haben die Ochsen ja eh ihre selbst ausgehandelte Abmachung, dass Milan dort die Arbeit übernimmt und auch noch Max mitzieht. Da die Muskulatur an der Hüfte von Max immer noch weich ist, schiebe ich es einfach erstmal darauf.

Die Menschen in der Mesolcsina, dem Tal welches zum Pass führt, sind genauso nett wie alle anderen im Tessin und die Wiesen, wunder wunderschöne Wiesen, zum Teil schon organisiert, bevor ich überhaupt zum Suchen anfange. Auch hier ist die Regel, dass ich länger bleiben dürfte, wenn ich wollte. Doch sind wir ja jetzt wirklich lange genug in einer Region geblieben, dass ich doch endlich mal ein bisschen weiter möchte. Also lehne ich diese für mich eigentlich sehr wertvollen Angebote tatsächlich ein paar Mal in Folge ab.

In Mesocco, dort, wo der Anstieg zum Pass beginnt, landen wir wieder wunderschön auf einer Wiese unterhalb der Burg, total uneinsichtig und vor unserer Nase ein wunderschöner Wasserfall. Warm ist es geworden die letzten Tage, zu warm, um die kommenden Passabschnitte tagsüber zu laufen. Also muss ich meinen Rhythmus wieder umstellen, und im Dunklen aufstehen, da wir um 6 schon auf der Strasse sein müssen um unser „Tagessoll“ von ca 500 Höhenmetern gelaufen zu haben, bevor die Sonne Max und Milan die Freude am Arbeiten nimmt.

Die Frühstückswiese für Max und Milan ist an diesem noch dunklen Morgen unterhalb einer zwei Meter hohen „Felswand“. Dort ziehe ich keinen Zaun, da sie da ja eh nicht hoch kommen. Meine ich. Und das ist mein erster Fehler, den ich an diesem Tag begehe.

Milan ist schon nach 10 Minuten auf den engen Wiesenstreiffen oberhalb der Felswand geklettert, weil dort das Magergras wächst, welches ihm besser schmeckt als das hohe Gras, welches ich als sein Frühstück vorgesehen habe. Da mir mulmig wird bei dem was ich sehe, greife ich ein und begehe damit meinen zweiten Fehler. (Eigentlich sollte ich es ja wissen. Ein Tier kann sich in Ruhe am besten aus Gefahrenstellen wieder hinausbewegen) Ich versuche ihn nach oben wegzutreiben (dritter Fehler: Treiben und nicht ihn das Halfter überziehen und herausführen), nicht nach unten, denn dort würde er dann vor lauter Übermut über die fast Schnittbereite Mähwiese springen und das Gras niedertrampeln. Doch Milan hat keine Lust nach oben wegzugehen. Stattdessen tritt er an den Rand der „Felswand“ und ich sehe nur noch, wie die Erde unter seinen Füssen weggleitet und Milan nach unten stürzt. 700kg Lebendgewicht stürzen im Dunkeln senkrecht 2 Meter tief.

Ein Moment, wo die Zeit stillsteht und sich das Herz auf die Größe einer Erbse zusammenzieht.

2 Meter, genug um sich Knochen zu brechen, Sehnen zu reissen.Genug um auf der Seite zu landen und sich irreparable Verletzungen zu holen.

Milan kommt auf allen Vieren auf seiner Weide auf, geht aber ziemlich in die Knie dabei und grunzt beim Aufprall.

Und geht grasen.

Also kann kein Knochen gebrochen sein.

Kurz darauf legt er sich hin und käut wieder. Da kann eigentlich auch keine Sehne gerissen sein oder irgendwelche inneren Verletzungen aufgetreten sein.

Ich setzte mich hin und bin fix und fertig.

So schnell kann es gehen. Es braucht so wenig Unachtsamkeit und das Leben meines Zugochsen steht auf dem Spiel. Und somit meine Reise.

Es braucht so wenig!

Da nehme ich meine Ochsen mit ihren 5 Jahren und unsere Reise als gegeben hin, doch von einer Sekunde auf die Nächste kann auch alles vorbei sein.

Doch wir haben auf den ersten Blick erstmal Glück gehabt. Kann das sein? Ich wage kaum zu hoffen, dass ein Tier dieser Größe und dieses Gewichts einen solchen Sturz unbeschadet überstehen kann? Schwellungen sehe ich natürlich noch nicht. Zerrungen o.Ä. zeigen sich vielleicht erst später. Was soll ich tun? Ihm einen Pausetag geben?  
Nein, ich will wissen, ob ihm nicht doch etwas fehlt, und das weiss ich am Schnellsten wenn ich einspanne und los ziehe. Also packe ich ungefrühstückt (der Hunger ist mir vergangen) das Camp ein und spanne an.

Und Milan zieht! Er ist auch nicht nervös. Sehe ich da eine Schwellung kommen am Bein? In meinem Zustand kann ich mir aber gerade viel einbilden. Aber er humpelt kein bisschen!

An diesem Tag führt uns die Strasse in den Morgenstunden auch noch 400 Höhenmeter nach oben. Schön langsam. Und meine Ochsen machen mit. Mit ihren 2 km/h, mit der eingerenkten Hüfte von Max, mit dem frisch verunfallten Milan, mit der traumatisierten Eva.

Und je mehr wir an Höhe gewinnen, desto mehr verwischt das im Dunkeln passierte und bekommt etwas Traumähnliches.

Was bleibt ist die alte, mir jetzt wieder frisch eingebrannte, Erkenntnis, zu hundert Prozent das Jetzt zu geniessen, zu schätzen, zu leben. Denn schon morgen kann alles vorbei sein. Fast wäre es das gewesen.

1 Kommentar:

  1. Da ist mir der Schreck auch beim Lesen in die Knochen gefahren!
    Weiterhin viel Glück auf der Reise und Danke für die tollen Berichte, Grüsse Markus

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