Donnerstag, 3. Oktober 2024

23.9.


Vier Monate ging es stetig auf diesen Tag hin, auch als ich noch nicht genau wusste, wann es sein würde. Es war präsent. Viele Monate mit der Suche nach der richtigen Art und Weise, Auseinandersetzung mit Bürokratie und immer diese Trauer und das Aufsaugen der Momente, der geteilten Zeit, der Gegenwart, der Wärme, der Freude, des Lichts, der Schönheit, des Geruchs. 

Dann ist er da, unausweichlich, der Schlachttag. Wie gut kann man sich wirklich drauf vorbereiten?

Ich war schon ab halb drei in der Nacht wach. Schlaf ging nicht mehr. Um fünf hab ich meinen Kaffee mit den Ochsen getrunken. Ticktack. Um 7 beim Stall alles vorbereitet. Ticktack. Jeder Handgriff ist ein Handgriff näher am Tod meiner Ochsen. Ticktack. Und dann kommt der Satz: «Wir können anfangen».

Ich weiss nicht mehr alles, ehrlich gesagt. Hab in meiner Erinnerung wie schwarze Flecken. Milan, der von mir als zweiter Auserkorene (weil er besser alleine bleiben kann wie Max), binde ich in einer Ecke vom Stall an. Ticktack. Richte ihn so aus, dass er so wenig wie möglich sehen kann. Ticktack. Nehme Max an den Strick. Nicht denken, Eva, ruhig, Eva. Ich führe ihn in den Stand. Und er tritt hinein. Er muss doch merken was los ist!! Aber er tritt hinein. Ticktack. Ruhe ausstrahlen, Normalität. Alles normal machen. Kraulen wie immer. In die Ruhe eintauchen wie immer. Doch ich spüre es schon in mir drin, wie es hoch drückt, der Schmerz. Weg drücken!!

Der Bauer hat sich noch Hilfe geholt. Bespricht mit einen anderen Profi genau die Stelle für den Bolzenschuss. Man schiesst nicht jeden Tag so gross behornte Tiere. Da ist alles etwas anders. Doch Max steht. Ticktack. So lieb steht er. Kurz tritt er einen halben Schritt zurück, hat er jetzt doch was gemerkt? Ruhe bewahren. Alles ganz normal ablaufen lassen. Also ihn wieder nach vorne treten lassen. Und wieder Kraulen. Ticktack. Und dann fällt der Schuss neben mir und mein Max geht vor mir in die Knie mit seiner Masse von 900 kg. Max!! Ich verliere die Fassung.

Und schon wird der Fangstand in den Anhänger gezogen. Ich bleibe bei Milan. Mit Abstand. Bin doch gerade eh zu nix nütze. Fassung gewinnen. Boden gewinnen. Für Milan. Gelingt nicht. Aber der Gute steht eh einfach. Käut wieder. Ich miste den Kuhstall. Routine um mich zu sammeln und weil Milan das so kennt im Ablauf. Die Fassung kehrt zurück. Jetzt gibt es kein zurück mehr. Jetzt gehen wir den Weg zuende. Voll präsent. Das bin ich ihnen schuldig.

Der Bauer kommt zurück mit leerem Hänger. Wäscht ihn. Platziert ihn wieder im Stall. Der Fangstand fährt wieder heraus. Jetzt bin ich ganz bei mir und Milan. In Ruhe. Milan, wir machen das jetzt zusammen. Ich führe dich zum Stand. Da sehe ich Blut an der Bodenfläche. Kurzes innehalten. Nein, Milan, wir sind Profis, wir lassen uns davon nicht ablenken. Das ist die neue Herausforderung für das heutige Training. Nein, wir riechen da nicht dran, sondern wir gehen einfach in den Stand hinein. Und Milan geht hinein. Ruhig und normal. Und ich kraule ihn. Er geniesst es. Und es fällt der Schuss. Jetzt geht Milan vor mir in die Knie.

Der Fangstand wird in den Anhänger gezogen. Kurz hadere ich mit mir, aber ich kann nicht lange überlegen. Entweder ich steige jetzt mit ein, oder nie.

Milan, ich begleite dich. Meine Verantwortung. Du bist mein Tier gewesen. Im Anhänger schliesst sich das Tor hinter dir und mir. Der Bauer setzt den Kehlschnitt, die Plattform senkt sich nach vorne, damit das Blut bergab aus dir hinaus fliesen kann. Es schiesst, es ist wahnsinnig viel. Und mit jedem Liter wirst du entspannter deine Muskulatur lässt nach, deine Augen schliessen sich immer mehr. Mittlerweile bin ich alleine im Anhänger mit dir. Es ist so friedlich. Du liegst in einer natürlich wirkenden Position im Fangstand während das Leben aus dir hinaus fliesst. Mit jedem Liter, mit jedem Tropfen, mehr Entspannung, mehr Frieden. Ich kann bei dir sein und dich streicheln. Du bist gegangen und doch bist du noch warm vor mir. Ich streicheln deinen Kopf, deine Nase, dein Wesen. Ich bedanke mich, ich verneige mich, vor dir, mein Ochse.

Dann steige ich aus und gebe dir das letzte Geleit in den Schlachthof.