Sonntag, 23. Juli 2017

Lothar, der Rentner


Als wir unterwegs waren hatte ich mich oft gefragt, ob es Lothar nicht besser gefallen würde täglich auf einer Wiese zu stehen und nichts anderes tun zu müssen als zu fressen, zu saufen und wiederzukäuen.
Diesen Sommer darf es Lothar testen, so ein Leben, doch so durch und durch scheint es ihn überhaupt nicht zu erfüllen. Eigentlich gar nicht.

Unsere Wiese, das Tälchen, ist ja nun wirklich zu 90% absolut perfekt. Die 10% die es nicht perfekt machen treffen leider hauptsächlich Lothar. Denn entweder es ist zu steil für sein Arthrosebein, oder zu nass. 950kg auf vier Beinen können einen ganz schönen Schaden anrichten und die Wiese eher wie einen Acker aussehen lassen. Um das den Besitzern nicht anzutun, muss Lothar oft allein weiden, denn Flächen, die einigermassen flach UND trocken sind gibt es eher weniger und sind deshalb nur ihm allein vorbehalten.
Obwohl ich sehr bemüht bin, die abgesteckten Areale nebeneinander liegen zu lassen, ist es doch nicht wie eine Herde. Denn nebeneinander Schlafen und gegenseitige Körperpflege (und in Lothars Falle: gelegentliches Rumschupsen der Kleinen) ist nicht möglich.

Also hab ich einen riesen Koloss auf der Wiese stehen, der stark genug wäre täglich eine 850 kg schwere Kutsche zu ziehen, stattdessen aber nur steht und frisst und liegt und frisst und steht.Und darüberhinaus auch noch unzufrieden ist, denn seine Herde ist nur bei ihm und nicht mit ihm.
Diese Kombination ist ....spannend. Und überraschend.
Lothar macht Sachen, die ich nicht mehr gewohnt bin von ihm. Früher ist er mir schon mal durchgegangen, noch vor der Zeit wo wir losgezogen sind. Seitdem war er immer ausgelastet genug um auf solche Gedanken erst gar nicht zu kommen. Doch jetzt erstaunt mich mein ach so langsamer träger Ochse mit Luftsprüngen, Galopp und Energie ohne Ende.
So hab ich ihn mal als Transporter eingesetzt, als ich Besuch bekam. Nicht mit der Kutsche die im Moment eher als trockener Aufbewahrungsort dient, sondern mit Packsattel vom Auto zur Wiese. Beim Hinweg, wo auch noch Vorräte in Glas mit auf ihm drauf gepackt waren, lief alles gut. Ging es auch bergauf.
Beim Rückweg bergab lief Lothar seine Arthroslangsamkeit . Ein Bein. Noch ein Bein. Noch ein Bein usw. Ich lief eher seitlich hinter ihm um ihn daran zu hindern gänzlich stehen zu bleiben und mich zu unterhalten. Auf einmal hat er wohl versucht Piz zu treten, die hat gebellt und im Ganzen hat er gemerkt wieviel Energie er hat. Daraufhin ist er einfach losgaloppiert. Das Gepäck meiner Gäste flog in hohem Bogen einmal links weg, einmal rechts weg und einmal nach oben weg ins nasse Gras. Ich bin natürlich hinter Lothar her und hab meine Familie ihr Zeug selber auflesen lassen. Irgendwann hat Lothar wohl doch gemerkt, dass es ihm nicht gut tut und hat auf mich gewartet. Als alles Gepäck wieder aufgeladen war gings weiter. Wieder in altbekannter langsamer Lotharmanier. Ein Bein. Dann noch ein Bein und noch ein Bein....

Ein andermal war er ziemlich durch im Kopf wegen den vielen vielen Bremsen, die wegen fehlendem Tau schon morgens um 5 aktiv sein konnten. Als ich ihn auf ein neu eingezäuntes schattiges Areal am Bach lassen wollte ging er mir durch den Zaun und lief im gestreckten Galopp natürlich durch den nassen Teil der Wiese. Dabei hinterliess er Klauenabdrücke die einen halben Meter tief waren. Als ich ihn gewendet bekiam (glücklicherweise vor Ende unserer Wiese), galoppierte er zurück, doch auch da lies er sich noch nicht einfangen sondern hat es nochmal geschafft an mir vorbei Richtung vorne zu laufen. Ein so ungewöhnliches Bild für mich. Und eindrücklich: 950 kg Masse voll in Bewegung.

So Sachen bringt Lothar im Moment immer wieder. Eigentlich müsste ich viel mehr mit ihm machen. Bisher hat mich immer abgehalten, dass wir mit seiner extremen Langsamkeit was Steigung und Gefälle betrifft hier kaum aus dem Tälchen rauskämen und trotzdem schon ewig unterwegs wären.
Diese Form der Langsamkeit ist schön fürs Reisen, weil man da immer neues sieht. Doch bei der Haus und Hof strecke?

Lothar und ich müssen irgendwie unser ganzes Verhältnis neu definieren und leben, nein, wir müssen einen neuen Zugang zueinander finden. Und eine Möglichkeit die Energie abzubauen, ohne das Bein zu überanstrengen.
Es ist eine Sache, aus einem Rind, welches nur Weide gewohnt ist ein Zugtier zu machen. Es ist nochmal was ganz was anderes, oder gar unmöglich, aus einem Tier welches Arbeit, Abwechslung, wechselnde Gerüche, Eindrücke und Geschmäcker kennt, ein Tier zu machen, welches zufrieden damit ist, dauerhaft nur auf einer Weide zu stehen.

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