Montag, 7. Oktober 2019

Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich euch jetzt seid mehr als zwei Wochen nicht mehr geschrieben habe.

Dass wir vom Pass wieder unten waren bedeutet für mich nicht nur eine bestandene Prüfung, sondern auch, dass meine Reise sich für dieses Jahr dem Ende zu neigt.
Ich dachte noch diesen Sommer, dass mein Tribut an das Reisen in den Alpen ein früher Wintereinbruch ist, der natürlich mit einer verkürzten Reisezeit einher geht. Deshalb habe ich meinen Arbeitsantritt auf Mitte Oktober vorverlegt. Ich hätte nie gedacht, dass ich Ende September selbst auf 1400 Meter meine Daunenjacke nicht auspacken muss. Ist wohl auch eine Ausnahme.

ABER: Ich habe aber immer noch ein paar Tage übrig und kaum mehr Kilometer zu laufen und so verbringe ich einige Tage bei einem Bekannten auf der Wiese und schaue mir die Berge nur mit den Hunden an. Ich entdecke die alten z.T. verlassenen Dörfer, die früher ganzjährig bewohnt waren. Und sehe die Zeichen ihres Ringens überhaupt leben und Landwirtschaft betreiben zu können: in den Fels gehauene befestigte Wege, mittlerweile zT zugewucherte oder bewaldete Terassen am Hang. Trockensteinmauern. Und überall die zusammengestürzten alten Steinhäuser und  Steinställe die früher mit Steinplatten gedeckt waren.


Ein Haus hat sein Dach noch drauf und ich gehe rein, fühle mich wie ein Eindringling. Russ an den Wänden des Vorraums, denn dort war der offenene Kamin zum Käsen und Kochen und die Öffnung für den Ofen, der das Zimmer beheizt hat. Der Ofen hatte nie Kamin sondern rauchte einfach zur Öffnung heraus. Noch steht das Bett mit dem Strohsack darauf und die Rösti in der mittlerweile fast durchgerosteten Dose sind auch noch im Regal. Am berührendsten aber ist ein fast zusammengerollter Karton mit darauf geklebten Heiligenbildern. Sowas lässt man bei einem Umzug nicht zurück.



Die Vergangenheit ist so gegenwärtig bei jedem Schritt den man hier in einen Wald oder auf den Berg tut. Mich nimmt das ziemlich mit. Weil ich mir denke, wieviel die Menschen hier geschufftet haben von Sonnenauf bis Untergang um das alles aufzubauen was jetzt verfällt.  Dabei haben wir heutzutage die Maschinen! Es fühlt sich so an, als wäre dadurch, dass wir uns nicht darum kümmern, ihr Ringen weniger wert. Blödsinn ist das. Aber ich denke nach über die Menschen, an die jetzt niemand mehr denkt, die vergessen sind in ihrem persönlichen Schicksal. Und denke darüber nach, dass ich auch irgendwann vergessen bin. An die Ameise, die ich versehentlich zertrete ist, wird aber auch nie gedacht.

Das Rückt das Leben ziemlich ins Zentrum.

Alles was ich an Äusserem aufbauen kann wird irgendwann verfallen sein, weg. Es gibt aber eine Chance, dass alles, was ich mir im Inneren erarbeite mitnehmen kann. Für was ist wirklich das Leben da?

Ich versuche meine Gedanken auf dem Berg zurückzulassen. Nur aus meinem Blickwinkel ist all das Verfallene schade. Im Grunde bietet es aber Platz für Neues. Ich denke, die Hirsche fühlen sich wohl im Wald zwischen den Ruinen. So viel Veränderung hat es auf diesem Planeten schon gegeben. Da muss ich mich und meine menschliche Interpretation der Dinge nicht zu wichtig nehmen.

Das einzig Konstante ist die Veränderung nunmal.

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