Mittwoch, 13. Mai 2020

Fremd gehen


Meine «schöne» rot-gelbe, metallene, alte, verlässliche Schrottkutsche. Für 10000 Forint habe ich sie damals gekauft, das dürften so 35 Euro gewesen sein. Mehr war auch nicht mehr drin, da der Kauf von Lothar all mein Geld aufgefressen hatte. Doch eine Übungskutsche musste damals her, damit Lothar und ich uns aneinander gewöhnen konnten. Dieses besagte Gefährt hatte jemand ziemlich dilettantisch selber gebaut, doch wegen ihrer Mängel war sie nie wirklich zum Einsatz gekommen.
Ich habe sie damals zerlegt, verstärkt wieder zusammengeschweisst und bunt angemalt, und auf einmal hiess es: oh was hast du für eine schöne Kutsche.

Ihr Grundproblem konnte ich damals nur Verbessern, nicht beheben: einen verbogenen Drehkranz. Da ich eh nie vorhatte, sie mehr als für den Einsatz auf dem Hof zu gebrauchen, war mir das egal. Auch an der leicht verbogenen Vorderachse, die dazu führte, dass die Räder sich immer schief abfuhren, lies ich mich nicht stören.
Schlussendlich bin ich dann doch mit ihr losgezogen, habe es aber nie bereut. Der verbogene Drehkranz war zu Lothars Zeiten auch kein so grosses Thema, weil die Einspännerdeichsel vom Tier selber getragen wird und so kein zusätzliches Gewicht und Vibration überträgt.
Jetzt mit Max und Milan und der Zweispännerdeichsel war das eine andere Nummer. Diese schwebt nämlich frei und wird von der Kutsche getragen. Jedes Gewippe und ihr Eigengewicht geht direkt auf den Drehkranz. Eigentlich wollte ich das schon vor meiner Losreise letztes Jahr behoben haben, aber wieder wurde nichts draus. Ein Drehkranz dieser Grösse konnte ich nicht finden und eine neue Vorderachse war auch nicht in Sicht.
Also bin ich doch einfach hoffnungsvoll trotzdem losgezogen, habe aber nie gedacht, dass wir ohne einen Bruch in dem Bereich des Drehkranzes ans Ziel kommen würden.
Bis auf einmal nachschweissen hat das erstaunlicherweise aber geklappt!
Trotzdem war klar: da muss was anderes her. Und: es ist wohl einfacher gleich eine andere Kutsche zu finden als passenden Drehkranz plus passende Vorderachse.

Und somit verabschiede ich mich in diesem Jahr von meiner alten Kutsche, die mein Hab und Gut so viele tausend Kilometer auf ihrem Rücken getragen hat ohne sich zu beklagen. Hatte sie mal ein Problem, war es immer mit einem Schweissgerät und etwas Altmetall zu beheben. Auch als es die gebrochene Vorderachse war.
Dass ich sie jetzt abstelle und mir eine neue kaufe fühlt sich auch wie ein Verrat an, nach diesen Jahren der Verlässlichkeit.
Aber ich habs getan. Jetzt steht sie erstmal für diesen Sommer in einem Schuppen, bis sich die neue bewährt hat oder auch nicht.
Und ich fühle mich als würde ich fremd gehen.

Die Suche nach einem neuen gebrauchten Gefährt hätte mich fast bis nach Norddeutschland geführt. Komischerweise gibt es fast nur dort Kutschen, die für mich passen würden. Die meisten Kutschen die zum Verkauf stehen sind Marathonwägen, die gar keine Ladefläche haben. Ackerwagen, wie ich einen bräuchte, in der «Ponygrösse» (ich will ja berggängig bleiben) waren im süddeutschen Raum oder in der Schweiz gar nicht zu finden. Oder zu reparaturbedürftig. Reparieren tu ich schon auch gerne, aber ohne Werkstatt und Maschinen schwer machbar.
Oder sie haben die falschen Bremsen dran, oder nur eine Vorderradbremse. Für mich als mitlaufende Person ist eine Hinterradtrommelbremse essenziell. Eine hydraulische Scheibenradbremse würde bei vielem Bergabfahren irgendwann den Dienst aufgeben, eine Bremse die von aussen auf das Rad einwirkt, wie bei den ganz alten Kutschen, ist ganz ungeeignet.
Die Lage, die Ladefläche, die Grösse, Zweispännerdeichselvorrichtung, das Bremssystem, alles Eigenschaften die über Monate (wenn nicht gar Jahre, ich habe immer wieder die Augen offen gehalten) in keiner Anzeige erfüllt worden sind. Die einzige, die ich mal näher ins Auge fasste, war dann auch schon verkauft.
Im September sehe ich auf einmal eine Anzeige aus dem Kanton Bern. Ein kleiner «Planwagen», die selbe Grösse wie meine jetzige Kutsche, von einem professionellen Hersteller mit einer Einspänner- und Zweispännerdeichsel UND Trommelbremse hinten UND vorne ausgerüstet. Ich war so erstaunt und glücklich, dass ich gar nicht auf den Preis geachtet habe als ich meine Fragen stellte. Einzig eine Achsschenkellung hat sie nicht (die hat gar keinen Drehkranz mehr, wie im Auto, und vermindert die Kippgefahr um ein vielfaches), aber das ist auch schon alles!


Bei 3000Franken musst ich dann aber schon schlucken, war das doch das Doppelte von meinem maximalen Budget. Also nicht machbar.

Aber ich habe dann einfach eine Email geschrieben, erzählt, dass mein Budget bei 1500 Franken liegt, dass die Kutsche dafür aber die Welt sehen wird...und ich habe die Zusage bekommen!
Und ein Bekannter hat sie mir an seinem freien Tag sogar gebracht!
Das Foto zeigt sie in der Anzeige:

Natürlich musste ich die auch noch Ochsen und Evatauglich machen. Das Verdeck, war mir klar, kommt weg. Es schaut zwar nett aus, ist für mich aber unpraktisch. Die Bordwände mussten höher werden, um meinen ganzen Krimskrams nicht rausfallen zu lassen, wenn es mal uneben wird.
Die Deichsel für Ochsen verlängert werden. Die Bremsen von vorne zu bedbar sein mit Kurbelbremsen. Die lassen sich stufenlos, also feiner, einstellen. Uralte, noch gusseiserne Kurbeln habe ich mir in Ungarn von zwei nicht mehr einsatzfähigen Leiterwägen abgebaut und jetzt im Winter in die neue Kutsche eingebaut.
Und dank Corona sind die Bordwände jetzt sogar blau und die Kurbelbremsen grün.
So schaut sie jetzt aus.




Ich bin gespannt, wie sie sich über den Sommer macht. Sie ist so leicht gebaut, dass ich sie, wäre sie nicht von einer guten Kutschenbaufirma, gar nicht gekauft hätte. Aus Angst, meine Ochsen würde sie bei erst bester Gelegenheit kaputt rantern. Aber so gebe ich ihr jetzt eine Chance und bin gespannt!

Max und Milan schätzen an ihr sicher ihr Gewicht, die verlängerte Deichsel, die ihnen mehr Kopffreiheit gibt und die schönen Dreiecksrückstrahler, die sich mit den Hörnern so schön knackend kaputt machen lassen, wenn man an der Kutsche angebunden ist.

Die Kutsche ist auf jeden Fall schon jetzt ein Gesamtkunswerk von vielen Menschen, die mir geholfen habe dass sie jetzt so vor mir steht wie sie es tut: den Vorbesitzern, dem Tranporteur, meiner Mutter, die ihre Zeit im Baumarkt  verbracht hat um Holz und Metallteile zu besorgen, der Schlosserei hier im Ort für die Verlängerung der Deichsel und Umbau der Kurbelbremsen. Und mir.
Diene redlich und gut.


2 Kommentare:

  1. Gut schaut sie aus, die Neue, ich hoffe, sie erfüllt deine Erwartungen. Was dir fehlen wird? Das monotone Quietschen des Rades der alten Kutsche. Viel Freude für Dich und ein langes Leben der Kutsche! Fritz

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    1. Oh das schöne quietschen, das hatte ich schon ganz vergessen. Das war irgendwann vorbei. Aber ab wann kann ich schon gar nicht mehr sagen.

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