Montag, 12. September 2022

Herdenmitglied auf Zeit

 

An einem Morgen jagt die rumpelnde Kutsche und die daneben laufenden Hunde einen Vogel auf, der im Straßengraben, bzw im Übergang zwischen Feldweg und Zuckerrübenfeld liegt. Es ist eine Taube, die vergeblich versucht weg zu fliegen, ihren linken Flügel aber ganz komisch hält. So eine hässliche Zuchttaube, mit diesem komischen Schnabel und Kopf, denke ich mir. Aber weit kann sie ja nicht her sein, irgendjemand wird sie ja vermissen. Also klemme ich mir die Gute so vorsichtig wie es geht unter den Arm. Mein erster Versuch sie einfach zu den Hühnern zu stopfen schlägt natürlich an deren Wiederstand fehl. Taube und Peitsche in einer Hand, Stricke der Ochsen in der anderen, laufe ich zu den nächsten Häusern hin. Irgendjemand wird mir schon Auskunft geben , wer hier Trauben züchtet.

Und was für ein Glück, genau dort wohnt ein Traubenzüchter. Das läuft doch wunderbar, denke ich mir noch. Doch als ich auf das Haus zulaufe sehe ich schon, dass da weiße Tauben im Schlag sitzen und nicht so graue wie meine.

Der alte Mann, der sie züchtet, ist nicht begeistert über mein auftauchen. Was er denn mit dieser Taube machen soll?, werde ich gleich abgewimmelt. Was soll ich da noch groß drauf sagen. Also bitte ich ihn zumindest um etwas Taubenfutter und einen Karton, damit ich meine Hände wieder frei habe. Das gibt er mir netterweise auch.

Also ziehen wir weiter. Mit noch einem Tier mehr auf der Kutsche. Damit ich gezielt jemand wegen der Taube kontaktieren kann, muss ich erstmal heraus finden, was es für eine Rasse ist, das scheint mir wohl am sinnvollsten. Und eine nervenaufreibende Sache, weil das Internet immer wieder so schlecht ist und es ewig braucht um Bilder überhaupt zu laden. Doch irgendwie bringt mich auch das nicht weiter. Weder bei Zuchttauben, noch bei Wildtauben finde ich ein Bild von so einem komischen Schnabel.




Mittags schaue ich mir erstmal ihren Flügel an, den sie so seitlich gehoben hat, finde aber keine Verletzung. Von dem Futter will sie nichts, auch kein Wasser. Das einzige was sie will: weg von mir. Da es mit dem fliegen nicht klappt, versucht sie sich zu Fuss von Acker zu machen, sofort, wenn ich sie auf den Boden setzte. Also setze ich sie wieder in die Kiste.

Es ist längst Abend, als ich zufällig auf ein Bild im Internet, was passt. Und so ganz langsam schwant mit, dass ich Mist gebaut habe.

Bei meiner Taube handelt es sich nicht um eine Zuchttaube, sondern um ein Jungtier einer Wildtaube (deshalb komischer Schnabel und Kopfform, trotz großem Körper), einen Ästling, der wohl bei einem Flugversuch auf dem Boden gelandet ist und sehr wahrscheinlich trotzdem noch von den Älteren versorgt wird. Was habe ich durch mein unüberlegtes Verhalten angerichtet? Hätte ich nicht erstmal vor Ort mein Handy zu Rate ziehen können (wenn ich Empfang gehabt hätte). Ich erwarte immer von anderen Menschen, dass sie sich ein paar Sekunden Zeit nehmen um ihr Hirn einzuschalten vor dem Handeln, bei mir selber klappt es aber scheint s nicht.

Jetzt hab ich keine andere Wahl mehr, als zu schauen, dass ich dieses arme Tier am Leben erhalte, bis sie wegfliegen kann. Was hab ich für ein schlechtes Gewissen! Die darf mir jetzt nicht wegsterben, wenn ich sie schon aus Dummheit von ihren Eltern getrennt habe!

Was frisst denn eine Taube, und was eine Jungtaube? Ihrem grünen Kot nach zu schließen viel Grünzeug. Zumindest gibt das Internet auch Aufschluss über die Fütterung von Jungtieren. Als Empfehlung: 7 Kornflockenbrei, wenn sie noch keine Körner frisst. Naja sowas hab ich jetzt nicht auf der Kutsche, aber immerhin Haferflocken und Haferkleie, daraus muss es jetzt ein Brei einfach tun. Begeistert ist sie gar nicht darüber. Aber wenn es mal auf ihrer Zunge liegt, siegt der Schluckreflex.

Ihr Verlangen von mir weg zu kommen bleibt stark bestehen. Manchmal macht sie Flugversuche. Der längste geht drei Meter auf einen Baum, danach stürzt sie aber sofort auf den Boden.

Im Internet finde ich schließlich in einem Vogelforum einen Bericht und die Antworten einer Frau, die auch dieselbe Taube gefunden hat. Jetzt weiß ich, dass es sich um eine junge Ringeltaube handelt. Ich lese auch etwas davon, dass deren Jungvogel den „grünen Hungerkot“ hat. Grüner Hungerkot? Scheints koten Tauben wenn sie Hunger haben in grüner Farbe, google ich auch noch nach. Also hat meine Taube gar nicht viel Grünzeug gegessen sondern hatte Hunger und das von Anfang an. Vielleicht wurde sie also gar nicht mehr versorgt. Woanders habe ich auch gelesen, dass Wildtauben ihr Jungen nicht immer weiter versorgen, wenn sie aus dem Nest gefallen sind. Zuviele Gedanken mache ich mir darüber aber nicht mehr. Denn Fakt ist, die Taube ist bei mir und muss von mir versorgt werden. Ob gerechtfertigter Massen oder nicht.

Zwei Tage würge ich dem armen Ding den Brei hinein. Und frage parallel alle Bauern, ob sie nicht eine Katzenkiste oder einen Käfig haben. Am dritten Tag werde ich fündig und bekomme sogar noch etwas Wachtelfutter dazu geschenkt. Zum Ausprobieren. Und tatsächlich, dieses Wachtelfutter pickt sie sofort und zwar in ganz großen Mengen! Was für eine Erleichterung nach den Tagen voll Zwang. Und zum ersten Mal ist die Taube zufrieden und legt sich auf meinem Knie ab.

Langsam läuft es also mit unserem neuen Herdenmitglied. Sie hat eine tolle Kiste mit einem Sitzast. Sie frisst, sie säuft selber. Immer auf meinem Knie, damit ich in Blick habe, wie viel sie zu sich nimmt.

Sorgen machen mir ihre Fluchtversuche. Sie ist definitiv noch nicht fähig selber genug Nahrung zu finden, geschweige denn zu fliegen. Was ist, wenn ich sie nach einem erneuten Flugversuch nicht mehr finde, wenn sie sich irgendwo versteckt? Dann verhungert sie endgültig.  Daher komme ich auf die Idee, ihr aus dem Gummi zum anbinden der Kuhschwänze ein Gestell zu bauen. Lasse aber schnell wieder davon ab, aus ich sehe wie sie in Panik gerät beim ersten anziehen. Stattdessen befestige ich ein Stück Leder an ihrem Bein, an das ich bei Bedarf einen kleinen Karabiner mit eben dem Gummi dran machen kann. So hat sie mehr Freiheit und ich gleichzeitig die Sicherheit, dass ich sie wieder finde. Und das akzeptiert sie total gut. Aber nachdem sie jetzt satt ist macht sie eh keine Fluchtversuche mehr. Sie scheint zufrieden auf ihrer Kiste sitzend.

Mittlerweile genieße ich die Anwesenheit dieses neuen kleinen Herdenwesens. Ich wusste gar nicht wie gut eine Taube riecht.

Nur die Hühner spinnen. Man kann es eigentlich nur als Eifersucht interpretieren.

An einem Tag muss ich kurz zu Max und Milan, als die Taube einen Flugversuch macht. Natürlich geht das nur begrenzt und so liegt sie am Boden und flattert. Das ist zuviel für Piz und sie beißt rein. Ich sehe es an den Federn im Maul. Die Taube hat zwei blutige Stellen, einiges an Federn gelassen und hat Schmerzen, macht die Augen auf Halbmast. Jedesmal, wenn ich denke es läuft und glücklich und zufrieden bin mit der neuen Herdenkonstellation passiert irgend etwas Blödes. Was hat die Taube nur für ein schlimmes Schicksal. Zuerst reiße ich sie aus ihrer Umgebung und dann pass ich nicht genug auf und sie wird gebissen. Ich hoffe nur, dass es nicht allzu schlimm ist und ich sie auch noch erlösen muss. Was für ein Tag!

Doch sie fängt sich wieder. Die zwei Wunden sind nur oberflächlich und heilen schnell und gut. Und scheint s hat es darunter nichts gequetscht.

Einen Tag später bin ich bei den Bauern und als ich zurück komme, haben meine Hunde das komplette Wachtelfutter aufgegessen. Ein gutes Kilo! Nichts haben sie übrig gelassen. Hier in der Umgebung hat auch niemand Wachteln um Futter nach zu besorgen. Deshalb probiere ich jetzt aus Ermangelung von etwas anderem wieder das Taubenfutter. Und jetzt frisst sie das nur aus ganzen Körnern bestehende Futter auch! Da hab ich nochmal Glück gehabt. Obwohl sie das andere schon lieber hatte. Schon wieder ein Rückschlag mit diesem armen Wesen.

Zwei Tage später macht sie wieder einen Flugversuch von ihrem neuen Ast aus, den ich ihr auf der Kutsche montiert habe. Leider landet sie in der Nähe der Hühner. Und die gehen sofort aggressiv auf sie los. Wäre ich nicht da gewesen, hätte es schlimm geendet.

So kann es nicht weiter gehen! Wenn ich sie weiter bei mir behalte, stirbt sie früher oder später durch eines meiner Tiere. Lasse ich sie weg fliegen, stirbt sie eventuell, weil sie sich nicht genug versorgen kann. Oder auch nicht. Das scheint vielleicht die bessere Möglichkeit. Sie an jemanden weiter zu geben, habe ich auch schon versucht. Aber niemand gefunden. Und zwei Wochen älter ist sie ja mittlerweile auch.

Ich weiß es nicht. Ich hab sie gerne um mich, aber das ist ja wohl ein sehr egoistischer Grund.

Also lasse ich sie schweren Herzens selber entscheiden und binde sie am Nachmittag nicht mehr an, als ich sie auf ihren Sitzast auf der Kutsche setze. Sie bleibt sitzen und ich bin froh. Eine Stunde später fliegt sie, und wie sie fliegt, auf einen geschützten Balken unterm Dach der Remise, wo wir daneben campen. Dort thront sie dann. Eine Stunde später kommt sie tatsächlich wieder runtergeflogen. Gleich gebe ich ihr Futter. Und wie sie sich voll stopft! Sie ist auch total aufgeregt. Wie high, wenn man das von einer Taube behaupten kann. Sie wirkt total glücklich! Kaum hat sich sich den Bauch voll geschlagen, fliegt sie wieder auf ihren Balken zurück. Irgendwie hatte dieser Moment etwas entgültiges. Noch ein letztes mal vom guten Futter und dann in die Freiheit. Etwas später ist sie weg.

Später sehe ich, dass sie sich einen Balken weiter rein in die große Remise gesetzt hat. Geschützter.

 Das war's wohl mit uns, liebe Taube. Du darfst gerne hier bleiben wenn du willst. Ich glaube es ist ein guter Platz. Du darfst aber auch so gerne weiter mit uns reisen. Ich würde mich freuen…

Als ich das Lager nachtfertig richte und die Plane zu mache, fliegt mit eine kleine Taubenfeder freudig entgegen. Da werde ich schon sehr traurig. Ich blase die Feder in Luft und wünsche der Taube alles erdenklich Gute auf dieser Welt.

Am nächsten Morgen schaue ich nach ihr. Sie sitzt immer noch am selben Ort. Mittlerweile müsste sie ja Hunger haben. Ich raschle mit den Körnern in ihrem Becher, aber sie interessiert sich nicht. Als später alles abfahrbereit ist, gehe ich sie nochmal besuchen. Mittlerweile sitzt siem noch weiter unterm Dach, an einer Stelle, wo ich ihr näher kommen kann. Da interessiert sie sich dann doch fürs Futter und kommt herunter geflogen. Was für eine Freude! Sie pickt eifrig und nur mal vorsorglich rieche ich nochmal an ihr. Noch ein mal diesen wunderbaren zarten warmen Duft. Ich nehme die Taube mit zum Camp. Was soll ich jetzt machen? Sie auf ihren Ast setzen und selber entscheiden lassen oder entscheide ich jetzt einfach wieder und setze sie in ihr Box und nehme sie mit? Und hätte dadurch noch etwas länger eine Reisetaube.

Ich setze sie in ihre Box, in der Hoffnung, dass sie sie als ihr bekannten, sicheren Raum nach der ungewohnten Freiheit der ganzen Nacht annimmt. Doch genau das Gegenteil passiert. Sie erkennt den Raum sofort und will nur weg! Raus! Keine vier Wände!

Ich hatte einen Moment, in dem ich einfach den Deckel hätte zu machen können. So du gehörst zu uns! Meine Entscheidung. Basta. Irgendeinen logischen Grund weshalb es für sie gut ist hätte ich mir schon zusammen basteln können.

Aber ich bekomme es nicht übers Herz. Die Taube fliegt aus der Box und in einem großen Bogen entlang der ganzen langen Remise. Was für eine Strecke, was für eine Kraft! Ich gehe sie noch suchen und finden sie in einer großen Fichte sitzende dahinter. Das war jetzt ein noch eindeutigerer Wink mit dem Zaunpfahl für mich.

Also mach's gut kleine Taube! Auf dass du reichlich gutes Futter findest. Ich hab dir noch etwas ausgestreut, du musst es nur finden. Danke dir für diese besondere Zeit meine Liebe.





Auf ihrer extra montierten Sitzstange auf der Kutsche


2 Kommentare:

  1. Liebe Eva da dachte ich doch was ist das für eine Frau die mit Hühner reist ich mußte dich suchen siehe da deine Hühner wussten haargenau wann die Mittagspause um ist sie trotteten zufrieden in ihre Box zurück supper eifach supper Ich wünsche euch allen allzeit gute Fahrt Baarfussfrau

    AntwortenLöschen
  2. Hallo zusammen es ist immer wider schön nachrichten von Euch zu hören, das mit der Taube eine sehr schöne geschichte, vieleicht wird sie Dich irgend einmal wider erkennen und dich besuchen. Also noch weiter gute fahrt und bleibt alle Gesund. Liebe Grüsse Emanuel

    AntwortenLöschen