Freitag, 3. Mai 2019

Max trifft seine Entscheidung

Es ist Winter.
Max und Milan kommen wieder ins selbe Winterquartier wie die letzten zwei Jahre. Sie kennen den Platz und die anderen zwei mittlerweile erwachsenen Rinder, Lotte und Britta. Nur Lothar, der unumstrittene Chef und ruhige Herdenmittelpunkt, fehlt dieses mal. .

Anfang November lasse ich Max und Milan also zu den beiden Damen auf die Wiese. Es dauert keine 5 Minuten und Max und Lotte gehen auf einander los. Nicht nur ein bisschen Rangelei, sondern mit richtigem Ernst versuchen sie einander in und durch den Zaun zu schmeissen. Da trete ich dazwischen und mache doch wieder die ganz grosse Wiese auf. Sollen sie es draussen austragen mit viel Platz.
Draussen geht es weiter. Max gegen Lotte, dann wird Milan von der viel mächtigeren Britta den Hang hinunter gedrückt. Gut, denke ich mir, Britta du musst jetzt als Älteste und Kräftigste Lothars Funktion der Herdenleitung übernehmen.
Alle Zäune bleiben erstaunlicherweise heil. Es wird viel gekämpft und dann in Grüppchen geruht. Es ist nicht ruhig, aber es funktioniert.

Nur kommt ja auch der Winter und irgendwann dürfen die Kühe nicht mehr auf der Weide sein, sonst gäbe es nächstes Jahr kein Gras sondern nur von Klauen umgepflügten Acker. So kommen die vier Herrschaften in den Offenstall mit angrenzendem Paddock. Immer noch luxeriös viel Platz für vier Rinder, doch jetzt nicht für diese Streithähne, wenn es um Futter geht.
Es wird wieder gerangelt, geschubbst und mit den Hörner gepieckst. Mal sind Lotte und Britta die Chefs und bekommen die «guten» Fressplätze, dann wieder umgekehrt. Genauso mit den favorisierten Liegeplätzen. Eimal schieben Max und Milan Britta und Lotte durch den Zaun und so finden die beiden Damen den Weg  zum Stall Nachbarn. Britta hat Verletzungen davongetragen.
Bei Lotte sieht man auch immer wieder Kratzer von den Hörnern auf der Haut.
Für solche Rangkämpfe ist das Areal nicht gedacht, zu schmal der Fressgang, zu wenig Ausweichmöglichkeiten.
Und so findet sich keine Ruhe. In den ersten zwei Monaten denken wir noch irgendwann MUSS sich doch die Rangfolge geklärt haben. Aber sie wird nicht gekärt.
Im Februar dann, nachdem Lotte wieder verletzt war, reicht es, und Max und Milan kommen auf ein gesondertes Areal draussen, aber mit einer angrenzender Seite zu Lotte und Britta.
Max und Milan werden völlig verrückt als sie merken, dass sie nicht mehr zu den Rindern dürfen. Sie kämpfen wild untereinander. Reissen auch einmal den Zaun ein.
Und dann wird es richtig blöd als Britta auf einmal noch stierig wird. Daraufhin reissen Max und Milan nochmal den Zaun ein und trennen Lotte brutal von Britta. Bei dem Versuch die beiden Gruppen wieder zu trennen kommt es zu einigen unschönen Momenten.
Max ist nicht mehr normal im Kopf. Er macht komplett auf Bulle. Wenn er jemanden sieht, scharrt er in der Erde mit den Vorderfüssen, dann mit den Hörnern. Da fliegen Erdbrocken durch die Gegend. Dann schabt er seinen Hals auf der Erde und lässt ein ganz wildes Bullenbrüllen los. Ausgerichtet auf den Menschen! Seine Augen sind auch nicht mehr normal. Sie sind nur mehr weit aufgerissen und man sieht viel weiss.
Am schlimmsten ist das um die Zeit der Brünftigkeit des anderen Rindes. Dazwischen beruhigt sich die Lage immer wieder, aber entspannt würde ich es nicht nennen.

Und das höre ich alles durchs Telefon, während ich in der Schweiz arbeite. Wo ich nichts anderes tun kann als zuhören und beten dass nichts passiert. Schlimm genug die Situation so wie sie ist. Noch schlimmer, der Gedanke es passiert einem Menschen was. An erster Stelle macht mich verrückt, dass nicht ich die sein kann, die sich in Gefahr begibt, wenn es mal sein muss.
Und dann habe ich noch eine Regel: greifft mein Ochse einen Menschen böswillig an, muss er sterben. Denn hat er es einmal gemacht, kann er es immer wieder tun.
Meine Reise steht dadurch auch wieder auf dem Spiel. Ich hatte vor 8 Jahren schon mal so eine Situation mit meinem ersten - falsch kastrierten - Ochsen, der mich nach 1 1/2 Jahren Training  von jetzt auf plötzlich auf die Hörner nahm. Ich weiss noch genau wie sich das anfühlt.
Solle es jetzt wieder so sein?

Noch sind es vier Wochen, die ich nicht weg kann aus der Schweiz.
Ich spüre die Angst in mir, dass was passiert, spüre was die Angst mit mir macht, dass sie mich klein macht und mich innerlich aussaugt. Tagtäglich.
So geht das nicht! Das ist kein Weg für mich! Ich muss in mir was ändern.

In meiner Not fange ich an vor dem Schlafengehen, oder auch mal dazwischen, wenn ich Zeit habe und alles ruhig ist, mich auf Max zu konzentrieren und in den Raum vor mir Worte ganz klar auszusprechen. Mehr oder weniger so:
«Max, ich möchte diesen Sommer mit dir und Milan losreisen. Das geht nur mit einem verlässlichen und ruhigen Zugochsen. Du hast die Wahl. Kommst du runter, bist nett und ruhig, darfst du mit. Bist du weiter der Bulle, dann darfst du «nach Hause gehen». Es ist deine Entscheidung! »
Und tatsächlich verändert sich in mir was mit der Zeit. Ich kann etwas tun und fühle mich wieder stärker, nicht mehr so verletzlich und schwach. Habe auch wieder mehr Vertrauen.
Und höre immer weniger über Max›s Fehlverhalten.
Ich merke, dass viel von unserem ersten Zusammentreffen abhängt. Wird der erste Kontakt gut, wird es gut und er wird durchs tägliche Training wieder runterkommen. Macht er da auf krassen Bulle...ja dann.
Es ist ein sehr eindrückliches Bild, wenn ein Tier mit so riesigen Hörnern vor dir den Bullen spielt. Ich kann nicht einschätzen, ob ich mich dann überhaupt auf ihn zutraue.

Als ich dann am 8. April endlich wieder selber vor ihm stehen kann, macht er es mir leicht. Augen weit aufgerissen lässt er sich aufhalftern (das ging im März zu einer tierärztlichen Untersuchung schon nicht mehr von einer anderen Person), kraulen und ein paar Meter führen. Das reicht mir für den ersten Abend.
Die nächsten Tage im Training sind schon spannend, weil Max und Milan einfach so viel Energie haben und aus einem Winter kommen, wo sie tagtäglich Rangkämpfen ausgesetzt waren. Das merke ich total in ihren Köpfen.
Doch Max ist nicht gefährlich. Macht er sein Bullenbrüllen, ist es nicht mehr aggressiv, klingt sogar manchmal wie ein Kälbchen wenn er mich sieht. Natürlich bekomme ich hin und wieder ein Horn ab, doch dann ist es aus Übermut, nie aus Böswilligkeit.
Und ganz langsam werden die Augen wieder kleiner und schauen wieder so aus wie von Zugochsen.
Jetzt, nach knapp vier Wochen Training ist er wieder ganz der Alte. Selbst, wenn wir mit der Kutsche an Rindern vorbei gehen, zeigt er nur die übliche Aufregung für andere Rinder, aber keinen Bullen.
Dass Britta wieder brünftig ist merke ich nur mehr an seiner Körperspannung beim Putzen, weniger Konzentration auf mich im Training und mehr Bullenbrüllen auf dem Paddock. Aber das ist es auch schon.

Er hat seine Entscheidung getroffen. Und ich bin sehr froh über seine Wahl.
Es ist so viel auf dem Spiel gestanden.

4 Kommentare:

  1. Jetzt saß ich aber einen Moment stocksteif vor Spannung auf meiner Couch beim lesen! Liebe Eva, Du schreibst richtig gut. Und was Du schreibst... Medizin. Grüße mit Herz von Anna

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  2. Dankeschön! Das freut mich zu hören. Anna wer?

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  3. Anker- Anna U aus P... ich bin kein Roboter!

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  4. Das freut mich ja, dass du den Blog liest! Ganz liebe Grüsse!

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