Max

 Am nächsten Tag ist sein Fieber weg, er frisst viel und ich schalte in den Überstanden-Modus. Überstanden will heißen, dass wir die Krankheit unter Kontrolle haben, nicht, dass wir gleich weiter ziehen können. Zum Glück hat mir Tags zuvor eine Bäuerin herzlich angeboten, dass wir auch bei ihr mal auf eine Wiese dürften. Sie hat sicher nicht an den Krankheitsfall gedacht. Ich auch nicht. Aber noch am selben Tag gehe ich zu ihr und erkläre dir Situation.

Das ist nicht einfach für mich. Denn Max ist krank, niemand kann ausschließen dass eventuell ansteckend und noch nicht mit ganz gesicherter Diagnose. Ich würde verstehen, wenn da ein Bauer „nein“ sagt. Sowieso ist nach einer Wiese fragen, weil wir fest sitzen, was ganz was anderes wie sonst.

Aber wir werden willkommen geheißen und ziehen am nächsten Tag um. Max stelle ich zwar neben Milan, aber ohne die Zugstränge einzuhängen, so muss er nicht arbeiten. Den einen Kilometer sollte er so schon schaffen. An diesem Morgen ist der erste Frost auf den Wiesen bei uns auf 1800m. Als wir eine Holzbrücke queren, rutschen beide Ochsen aus und können sich kaum auf den Beinen halten. Ich glaube nur der Schwung bringt uns auf die andere Seite. Kühe auf Glatteis ist ein erbärmlicher Anblick.

Am Abend, bevor ich die zweite Ladung Antibiotika spritzen möchte, messe ich Fieber. Wieder über 40°. Das selbe am Tag später. Trotz Antibiotika. Ich hatte mich viel zu früh gefreut. Max steht, über Stunden ohne sich ab zu legen, käut über Stunden nicht wieder, frisst wenig.

Das ist nicht gut.

Die hinzugezogene Tierärztin nimmt sich ganz viel Zeit für Max. Denn es ist einfach nicht eindeutig. Ist es vielleicht doch ein Fremdkörper? ( Es kommt immer wieder vor, dass Kühe/Ochsen den von Menschen unachtsam weg geworfenen Müll fressen und dieser die Magenwand punktiert, wenn er aus Metall oder Alu [Dosen, die dann vom Mähwerk geheckselt wurden], frisst). Symptome, die eigentlich deutlich auf Lungenentzündung hinweisen hat er nicht. Weder hustet er, noch klingt seine Lunge typisch schlecht beim abhören. Auch pumpt er nicht (Überanstrengung der Lunge).  Ein Ultraschall des Magens wegen Fremdkörper bringt leider auch kein Erfolg, denn die Haut und Bauchdecke meines Ochsen ist zu dick um ein verlässliches Bild zu geben. Zu guter Letzt hört die Tierärztin Milans Lunge im Vergleich ab und dann ist es doch ziemlich eindeutig. (Kuhrassen, vor allem alte und extensive, können sich nicht nur im Verhalten, sondern auch in Temperatur und anderen Gesundheitsfragen unterscheiden, da ist es gut ein Vergleichstier der selben Rasse zu haben)

Die Tierärztin wechselt das Antibiotika. Und wieder bekommt Max viele Spritzen. Endlich, am Tag drauf, legt sich Max ab und schläft und schläft und schläft. Sein ganzer, schon so viele Tage geschundener Körper, bewegt sich wieder anders. Und in mir fängt sich an etwas zu entspannen.

Jetzt, nach vier Tagen fieberfrei, kann ich davon ausgehen, dass das Schlimmste überstanden ist. Ein gutes Zeichen dafür war auch, dass bei der Wiederholung der Antibiotikakur zwei Tage später, Max durchaus wieder schlagkräftige Argumente gegen die Spritze hatte und es ein gefährliches Unterfangen war sie zu geben.

Obwohl es Max jetzt besser geht, werden wir für dieses Jahr unsere Tour abbrechen.

Um ins Tessin zu gelangen müssen wir über noch mindestens einen Pass, dessen Witterung im Herbst durchaus unangenehm sein kann. Auch können Lungenentzündungen gut wieder kommen, oder dauerhaft die Lunge schädigen. Dafür ist mir Max zu wichtig. Wir hätten ja eh nur noch den September. Und die Heilung braucht länger.

Das Ende des Safientals, mit seinen hohen mächtigen Bergen um mich herum ist jeden Tag aufs neue ein Staunen. Mit seiner wilden Kraft und Majestät erweckt es Ehrfurcht, Freude, Lebenskraft und Demut.

Ein durchaus würdiger Ort für die Beendigung meiner Saison.