Freitag, 3. September 2021

Wie geht's Max?


Das ist mein absolut ungeliebtes Thema diese Saison. Und der Grund, weshalb ich noch langsamer mache wie sonst (das stimmt nicht ganz. Je länger ich unterwegs bin, umso mehr scheint auch die Ochsengeschwindigkeit zu schnell, um die Gegend wirklich wahrzunehmen. Aber wenn mein innerer Schweinehund dann doch mal auf ein “vorwärts“ oder „auch mal Strecke machen“ drängt, kann ich jetzt geruht sagen: „Nein, nein, solange Max nicht ganz auf der Höhe ist, machen wir langsam“).

Das Einrenken im Frühling hat Max definitiv mehr Lebensqualität verschafft, doch an dem Dehnen des rechten Hinterbeines aus der Hüfte heraus hat es nichts geändert. Nachdem er auch angefangen hat bei langen Aufwärtsstrecken, also nicht nur in der Ruhe, die Dehnbewegung zu machen, wurde klar, dass die Sache keinesfalls gegessen ist.

Keine leichte Sache. Die Geschichte mit Lothar und seinem wehen Bein ist noch nicht verdaut. Und mit Ochsen in besten Alter bin ich darauf nicht vorbereitet. Innerlich meine ich. Es scheint wir letztes Jahr, meinen guten Zugochsen Lothar mit immer mehr Schmerzen zu sehen. Und irgendwann Abschied nehmen zu müssen vom gemeinsamen Reisen und dann von ihm selbst. Ich habe überhaupt keine Lust etwas ähnliches jetzt schon wieder erleben zu müssen.

Aber Max ist nicht Lothar und vielleicht findet sich bei ihm ja ein Weg.

Auf dem Weg Richtung Davos begegnet mit ein Auto mit dem Aufdruck ‚Pferdephysiotherapie‘. Also muss diese Person ja hier im Umkreis arbeiten! Und tatsächlich, nach einer kurzen Suche im Netz und einem Telefonat wird ein Termin abgemacht. Auch bei dieser Physiotherapeutin ist es der erste Kontakt an einem Ochsen, aber das ist mir egal. Im Wesentlichen unterscheiden sich Pferde und Ochsen meiner Meinung nach wenig im Bewegungsapparat.

Diese Frau gibt einem neuen Gedanken Raum, nachdem sie Max bewegt und massiert hat. Sie meint, es könne von der Kastration und der Narbe her kommen. Die Hodenmuskulatur geht nämlich hoch zum Rücken, ungefähr dorthin, wo Max seinen Senkrücken hat. Und kann durch Verspannungen zu Rückenproblemen führen und dem Dehnen der Hüfte.

Als sie das anspricht, fällt mir die ekelige, längst beiseite geschobene Geschichte um Max‘ Kastration ein. Max und Milan wurden beide noch in Ungarn mit dem Gummi kastriert. Dabei wird die Durchblutung des Hodensackes durch einen festen Gummi unterbunden. Daraufhin trocknet dieser über einen mehrwöchigen Zeitraum ein und fällt schließlich ab. Ich bin eigentlich ein ziemlicher „Fan“ dieser Variante der Kastration weil sie sicher und unblutig ist und keine Fliegen anlockt.

Bei Milan ist auch alles normal verlaufen und der getrocknete Hodensack viel ab. Max hingegen stand eines morgens eigenartig auf der Wiese. Als ich kontrollierte was los ist, sah ich, dass der Hodensack gerne abgefallen wäre, aber noch nicht konnte. Stattdessen hat er das letzte Stück Verbindung zum Körper, ich weiß nicht was es war, durch sein Gewicht ca 20 cm aus seinem Körper herausgezogen. Aus Ermangelung anderer Ideen, hab ich es einfach abgeschnitten und damit war für uns alle die Sache erledigt. Schien es zumindest.

Aber einige Zeit später hat Max dann begonnen oft im Senkrücken zu stehen. Und eben gelegentlich sein Bein zu dehnen. Zufall?

Damals bin ich nicht auf die Idee gekommen einen Zusammenhang zu sehen.

Aber all das ist mir natürlich wieder eingefallen, als die Pferdephysiotherapeutin die Kastration ansprach.

Also geht es jetzt darum, diese Narbe zu entstören durch Massage und eine Salbe. Mal sehen….

Die Art und Weise, wie mir gezeigt wurde zu massieren hat Max nicht lange gut gefallen. Nach nur wenigen Minuten wurde er immer unruhig. Wie soll es da besser werden?? Dann hab ich mir überlegt, wie man denn massieren müsste, damit es einem Ochsen gefällt? Seitdem massiere ich, als würde ich einen Hefeteig kneten. Und das gefällt ihm, sofort hebt er immer den Schwanz!

Aber das erhoffte Wunder bleibt aus. Wie sollte es auch kommen, wenn diese Narbe schon fast fünf Jahre alt ist?

Langsam laufen wir weiter. Genießen es so langsam zu sein und nutzen jede Gelegenheit für eine Pause. Helfen da auf einer Alp mit einem Lawinenzug frei zu räumen, woanders gehen wir mit heuen. Wir … ich meine damit mich. Das ist auch eine schöne Art den Bauern danke zu sagen.

Auf einer Wiese schickt das Leben uns noch eine Chiropraktikerin vorbei, die einfach plötzlich so vor uns steht. Was für ein Geschenk. Sie stellt das Problem auch KollegInnen vor und es verhärtet sich die Theorie mit der Narbe. Und ich treffe noch weitere Personen, die jeweils unterschiedliche Ansätze haben. Aber alles spricht für dass Problem mit der Kastration.

Daran lässt sich natürlich arbeiten. Aber es braucht Zeit. Viel Zeit nach so vielen Jahren.

Ein Ansatz in der Osteopathie wäre, die Narbe zu entstören. Dabei wird in das Narbengewebe ein Betäubungsmittel gespritzt. Diese Möglichkeit habe ich aber unterwegs nicht, bzw ist mir noch nicht eine Person über den Weg gelaufen, die das kann. Aber das kommt vielleicht noch.

Bis dahin massiere ich und creme ein und mache langsam mit meinen Jungs.

Am ersten Morgen, als wir uns so langsam wieder in Richtung Tessin aufmachen, wachen beide Ochsen mit Eiter in den Augen auf. Ich putze ihre Augen und laufe weiter. Bei Max ist es stärker als bei Milan. Bei ihm kommt dann noch Ausfluss aus der Nase dazu. So viele Gedanken mache ich mir darüber nicht. Kühe sind gut darin, sowas mit dem eigenen Immunsystem zu heilen. Jetzt sind wir am Ende von Safiental auf einer Alp willkommen. Einen Tag gehe ich mit den Hunden wandern. Schon am Morgen ist Max eigenartig, aber da er weder Eiter noch Ausfluss aus der Nase mehr hat schiebe ich es auf etwas anderes. Auch frisst er und käut wieder. Wenn auch weniger wie sonst.

Am Abend steht er immer noch eigenartig da. Seine Augen sind kleiner als sonst. Beim genauen hinschauen sehe ich Muskulatur am Hals zittern. Das ist nicht gut, also hole ich das Fiebermessgerät. Es zeigt 41,8°. Es braucht nicht viel mehr, um eine Kuh verenden zu lassen. Ab 39,5 hat eine Kuh Fieber. Ich glaube noch nie einen so hohen Wert bei einem Erwachsenen Tier gemessen zu haben.

Natürlich ist es nach acht Uhr abends.

Ich bitte die Älplerin sich ihn mit mir zusammen anzuschauen. Sie erzählt, dass diesen Sommer durch die Nässe viele Tiere mit Lungenentzündung zu tun haben. Die anfängt mit Eiter in den Augen und Ausfluss aus der Nase.

Na toll. Max Lunge pumpt zwar nicht, vielleicht noch nicht, aber dann ist es ja ziemlich eindeutig. Zu guter Letzt hustet Max auch. Erstaunlich, dass er sich bei diesem Wert noch auf den Beinen halten kann.

Die Bäuerin, wo ich die Nacht vorher war und die ich angerufen habe und um Hilfe gebeten habe, kommt vorbei und bringt in Absprache mit ihrer Tierärztin sogar die nötigen Medikamente mit. Nachdem ihr Fiebermessgerät auch 41,6°zeigt, meines könnte ja falsch sein, wird über Telefon noch mit der Tierärztin konsultiert und wir einigen uns auf die Antibiotikakur auf die Lungenentzündung. Die Ärztin meinte, es könne auch von einem Zeckenbiss sein, aber da das Medikament das selbe ist, muss ich mir darüber jetzt keinen Kopf machen.

Mittlerweile ist es natürlich stockdunkel geworden, als wir die fünf spritzen mit je 20ml Flüssigkeit füllen. Armer Max. Ich hoffe darauf, dass er so neben sich steht, dass er das Spritzen einfach so über sich ergehen lässt. Kein Tier hat Spitzen gerne und dann gleich noch so viele! Ich bin froh, in diesem Moment und schon den ganzen Abend nicht allein sein zu müssen.

Das Antibiotika geht in den Muskel, der Entzündungshemmer entweder in Muskel oder unter die Haut. Ich brauche also mindestens vier Stellen Muskel und das kann ich eigentlich nur am Oberschenkel machen. Alternativ gäbe es die Schultermuskulatur, doch da sitzt ja das Kummet und deshalb sollte diese Stelle unversehrt bleiben.

Max wird schon sehr nervös, aber kein Vergleich zu einem gesunden Ochsen. Ich habe ja nur ein Bäumchen zum anbinden! Und er versucht nicht einmal mich groß zu treten, wo ich doch direkt an seinen Hinterbeinen stehen muss, der liebe Kerl. Spritze um Spritze jage ich ihm in den Hintern. Die letzte, den Entzündungshemmer, spritze ich unter die Haut am Hals, stehe also direkt bei seinen Hörnern. Auch das macht er gut ohne mich zu schlagen. Als ich ihn vom Halfter lasse, will er aber nichts mehr von mir wissen.

Als ich endlich ins Zelt krieche, ist an Schlaf aber noch lange nicht zu denken. In meinem Kopf, in meinem Herzen bewege ich irgendwann immer wieder der Teil eines Satz, den ich Tags zuvor an einer Hauswand gelesen habe: „alles ist Gnade, fürchte dich nicht“.


3 Kommentare:

  1. Hi Eva, ich wünsche dir alles, alles Gute und das es Max bald wieder besser geht !!

    Liebe grüße Margit von Josefshof!😊

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  2. Hoffe Max wird wieder schnell gesund. Alles Gute dir und deinen
    Tieren.
    Herzliche Grüsse
    Markus

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  3. Dankeschön an euch zwei. Es hilft immer, wenn viele Menschen an uns denken!!

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